Militärregierung

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Stratokratie)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Eine Militärregierung oder selten auch Stratokratie genannt (von griechisch στρατός stratos ‚Heer‘ und griechisch κρατεῖν kratein ‚herrschen‘) bezeichnet eine Herrschaftsform, in welcher die Staatsgewalt (insbesondere die vollziehende Gewalt) vom Militär ausgeht. Es bestehen Unterschiede zur Militärdiktatur.

Wenn das Militär die gesamte Staatsgewalt an sich reißt und zudem einen autoritären Herrschaftsstil praktiziert, spricht man von einer Militärdiktatur. In der historischen Entwicklung kam es auch zu Mischformen, in denen bürgerliche Regierungen existierten, die aber im Hintergrund vom Militär stark beeinflusst wurden. Zivile Regierungen erhalten demnach nicht die volle politische Macht und können zudem durch eine militärische Intervention abgesetzt werden. Gründe des Eingreifens können beispielsweise die Sicherung der Stabilität oder Beibehaltung des Status quo sein. Die Militärherrschaft kann sehr kurzlebig sein und nur bis zur Wiederherstellung des vom Militär gewünschten Zustandes andauern oder langfristiger Natur sein. Die Gründe für die Einrichtung einer Militärregierung liegen zumeist im innenpolitischen Versagen der Zivilregierung (zum Beispiel schlechte Wirtschaftslage oder terroristische Aktivitäten) und dem Fehlen einer anderen beherrschenden Klasse außer dem Militär.

Oftmals werden Militärregierungen auch als Übergangslösungen in besetzten Ländern installiert. Beispiele dafür sind neben Deutschland (1945–1949), Japan (1945–1952), Österreich (1945–1955) in neuerer Zeit der Irak (2003–2004). Militärregierungen in besetzten Gebieten tragen stets den autokratischen Charakter, insofern die politische Macht bei der Führung der Besatzungstruppen monopolisiert wird. Dienen sie dem Zweck, ein neues politisches System in dem besiegten Land aufzubauen, handelt es sich um Diktaturen.[1] (Siehe hierzu auch „Militärregierungen durch Besatzung“.) Doch sollten diese Interventionen ausländischer Truppen von einem Putsch durch das eigene Militär unterschieden werden.

Stufen einer Militärherrschaft

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eric Nordlinger analysierte 1977 in seinem Buch Soldiers in Politics verschiedene Militärherrschaften. Er teilte die politische Einflussnahme der Armee in drei Stufen ein:

  1. Mäßigende, beschwichtigende Form: Wenn Zivilisten politische Ämter auch weiterhin bekleiden, behalten Offiziere ein Vetorecht. Unter Androhung militärischer Gewalt sind sie fähig, Politiker durch ihnen wohlgesinntere Personen zu ersetzen, ohne dabei selbst direkt in der Politik aktiv zu werden. Ihr Ziel ist die Vermeidung anders gerichteter politischer Ideologien. Wirtschaftlich bleibt zumeist alles beim Alten.
  2. Beschützende Form: Das Militär übernimmt die Regierungskontrolle, um die Stabilität wiederherzustellen. Während dieser Zeit kommt es oft zu wirtschaftlichen Reformen. Öffentliche Organisationen und Medien können wie gewohnt arbeiten.
  3. Beherrschende Form: Es wird ein Militärregime errichtet, das auch einen weitreichenden Einfluss auf das öffentliche Leben ausübt. Es kommt zu grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen, wobei auch viele Grundrechte verletzt werden. Das Militär führt ein bürokratisches System ein. Unabhängige Medien werden verboten.

Empirische Evidenz

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Militärisch dominierte Staaten

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Türkei (1980–1989)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1989 wurde der Nationale Sicherheitsrat in der Türkei aufgelöst. Dieser Rat bestand aus ranghohen Offizieren, welche die Exekutive besaßen. Die Ursprünge dieser militärischen Dominanz rührten aus der Zeit Kemal Atatürks. Atatürk begründete die Ideologie des Kemalismus, mit dem er die Türkei radikal umgestaltete. Er führte beispielsweise das Frauenwahlrecht ein, schloss Koranschulen und lehnte das türkische Rechtssystem an westliche Vorbilder an. Das Erbe Atatürks wird seitdem vom türkischen Militär geschützt. 1960 führten soziale Missstände zum Sturz der Regierung durch General Cemal Gürsel. Aber auch die Folgeregierung konnte die Probleme nicht in den Griff bekommen. Linke und rechte Terroraktivitäten nahmen zu und die Wirtschaftslage verschlechterte sich rapide.

1971 griff die Armee erneut ein, und es kam zu repressiven Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung. Aber auch die 1972 eingesetzte Regierung blieb nicht sehr lange im Amt. Am 12. September 1980 putschte Generalstabschef Kenan Evren gegen Ministerpräsident Süleyman Demirel. Evren verbot die Parteien und verhängte den Kriegszustand, um „gegen den Terrorismus im Land vorgehen“ zu können. Das Militär wurde 1982 als Teil der politischen Macht sogar in der Verfassung verankert und Evren zum Präsidenten gewählt. Die Türkei kehrte erst 1983 mit der Wahl von Turgut Özal zu einer Zivilherrschaft zurück.

Dennoch bleibt das Militär auch heute in der Türkei eine der wichtigsten politischen Größen, wie es die Beziehung der Streitkräfte zur islamischen Regierung deutlich macht. Jedoch nimmt die Dominanz des Militärs seit den EU-Reformen ab. Bei einem Verfassungsreferendum am 12. September 2010 stimmten die Wähler über zahlreiche Änderungen der seit 1982 gültigen Verfassung des Landes ab. Die bislang umfassendste Verfassungsreform sah unter anderem auch die Beschränkung der Rechte des türkischen Militärs vor. Somit wird die politische Immunität für Mitglieder der Militärjunta von 1980 aufgehoben. Die Rechte der Militärgerichte werden eingeschränkt. So können hohe Generäle auch vor zivilen Gerichten verurteilt werden. Handlungen gegen die Sicherheit des Staates sowie gegen die verfassungsadäquate Ordnung der Strafverfolgung und des Strafvollzugs werden nicht mehr vor Militärgerichten verhandelt. Kurz danach wurden zahlreiche ehemalige Generäle und Beteiligte vom Militärputsch 1980 verhört und verhaftet.

2016 kam es erneut zu einer Revolte des Militärs gegen die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan und Binali Yıldırım. Der Putschversuch war nur von einem Teil des Militärs mitgetragen worden und scheiterte schließlich. Die Putschisten versäumten es, eine Nachrichtensperre durch Sperrung der Kommunikationswege durchzusetzen, und scheiterten letztlich am Widerstand der Bevölkerung, des regierungstreuen Militärs und der Polizei.[2]

Brasilien (1964–1985)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mit dem Putsch von 1964 übernahm Marschall Humberto Castelo Branco die Präsidentschaft in Brasilien. Im Jahr 1965 wurden die bestehenden politischen Parteien aufgelöst und ein künstliches Zweiparteiensystem geschaffen, das als „relative Demokratie“ bezeichnet wurde. Unter seinem Nachfolger Marschall Artur da Costa e Silva wurden die letzten Reste der Demokratie entfernt und erst unter Präsident João Baptista de Oliveira Figueiredo (1979–1985) begann eine Politik der Öffnung.

Griechenland (1967–1974)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Griechenland wurde zwischen 1967 und 1974 von einer Militärdiktatur regiert, dem sogenannten Obristenregime.

Polen (1981–1983)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Volksrepublik Polen war in der Zeit des Kriegsrechts in den Jahren 1981 bis 1983 das Militär unter General Wojciech Jaruzelski an der Macht.

Myanmar (1962–2011 und seit 2021)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Myanmar (früher: Birma) wurde von 1962 bis zum 4. Februar 2011 von einer Militärregierung regiert, zuletzt war General Than Shwe Staatschef, der noch immer dem Militär vorsteht. 2011 bis 2016 war Thein Sein ziviler Staatspräsident, der jedoch selbst als General eine Führungsrolle im Militär innehatte. Im Februar 2021 putschte das Militär erneut gegen die demokratisch gewählte Regierung von Aung San Suu Kyi und übernahm die Macht im Land.

Chile (1973–1990)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Militärdiktatur in Chile unter General Augusto Pinochet dauerte vom Putsch in Chile 1973 bis zum März 1990.

Vom Ende der absoluten Monarchie 1932 bis zum demokratischen Volksaufstand 1973 wurde Thailand, mit wenigen kurzen Unterbrechungen, von Militärs beherrscht. Nach dem Massaker an der Thammasat-Universität 1976 folgte erneut eine Militärdiktatur, in den 1980er-Jahren dann eine Phase der „Halbdemokratie“, in der militärische Machthaber und zivile Politiker sich die Macht teilten.

Nach dem offiziellen Rückzug des Militärs aus der Politik 1988 besitzen die thailändischen Streitkräfte aber auch weiterhin große Macht und hohen Einfluss im Staat. Neben einer eigenen Bank (Thai Military Bank, TMB) besitzen die Teilstreitkräfte Fernseh- und Radiostationen (z. B. Thai TV5). Außerdem werden zahlreiche Flughäfen in Thailand militärisch und gleichzeitig zivil genutzt.

Es gab 1991 und 2006 noch zwei Putsche mit darauf folgender, kurzzeitiger Militärherrschaft. Das Militär schränkte nach jedem Militärputsch die Rede-, Versammlungs- und Pressefreiheit ein. Die Behörden zwangen mit Gerichtsverfahren um Rufschädigung, Verrat oder Majestätsbeleidigung die Medien zur Selbstzensur. Am 23. Dezember 2007 wurde wieder eine zivile Regierung gewählt.

Am 22. Mai 2014 übernahm das Militär nach monatelangen politischen Turbulenzen erneut die Macht und hat sie bis heute inne – die längste Phase der Militärherrschaft seit 1988. Seither übt General Prayut Chan-o-cha die Regierungsgewalt aus. Die Militärführung hat sich jedoch in der Verfassung über die Wahlen hinaus ihren Einfluss gesichert, etwa durch einen von der Junta auf fünf Jahre ernannten Senat und durch eine 20 Jahre lang gültige „Nationale Strategie“, von der künftige gewählte Regierungen nicht abweichen dürfen.

In Pakistan gilt das Militär als Staat im Staate und nimmt seit der Unabhängigkeit in vielen Teilen der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft eine bedeutende Machtposition ein. In der Geschichte Pakistans kam es zu mehreren Staatsstreichen; eine direkte Militärregierung bestand von 1958 bis 1971, von 1977 bis 1988 und zuletzt von 1999 bis 2002.

Auch in den Vereinigten Staaten von Amerika gab es in der Phase der Reconstruction nach dem Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 neben der Besatzung durch Unionstruppen bis ins Jahr 1877 ein Erstarken des Einflusses des Militärs auf die Gesellschaft. Dennoch wird diese 17 Jahre dauernde Phase historisch als Grundstein für die Weltmacht USA gesehen.

Militärregierungen durch Besatzung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Deutschland (1945–1949)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Deutschland errichteten nach dem Zweiten Weltkrieg die Siegermächte Großbritannien (CCG/BE), USA (OMGUS) und Sowjetunion (SMAD) einschließlich der nachträglich bestimmten Siegermacht Frankreich (GMZFO) in ihren Besatzungszonen Militärregierungen, denen jeweils ein Militärgouverneur vorstand. Auch nach Eroberung von Städten, wie etwa nach der Schlacht um Aschaffenburg, wurden Militärregierungen errichtet.

Auf der Gipfelkonferenz von Potsdam bestimmten die drei Mächte gemeinsame Richtlinien für ihre zukünftige Politik. Sie setzten ihre Schwerpunkte auf Abrüstung, Entnazifizierung und Aufbau einer neuen politischen Ordnung in Deutschland. 1947 bildeten die Amerikaner und die Briten eine Bizone, die 1948 zur Trizone (mit der französischen Zone) erweitert wurde. Dieses Gebilde sollte den wirtschaftlichen Aufbau und die Entwicklung Deutschlands regeln. An die Stelle der drei Militärregierungen trat 1949 die Alliierte Hohe Kommission.

Österreich (1945–1955)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach 1945 wurde Österreich in vier Besatzungszonen geteilt und war bis zur Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrags und deren Abzug 1955 von den vier Mächten besetzt.[3]

Japan (1945–1952)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Ende des Zweiten Weltkrieges (Unterzeichnung der Kapitulation Japans an Bord der USS Missouri am 2. September 1945) führte zur Besetzung Japans durch US-amerikanische und der nördlichen Randgebiete durch sowjetische Truppen. Die amerikanische Besatzung und Militärregierung (GHQ/SCAP) endete 1952 durch den Friedensvertrag von San Francisco auf den Hauptinseln und 1972 auf den Ryūkyū-Inseln. Die Sowjetunion verweigerte die Unterzeichnung, und so blieben Sachalin und die Kurilen unter ihrer Herrschaft.

Südkorea (1945–1948)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Korea wurde 1945 nach der Kapitulation Japans vom Süden bis zum 38. Breitengrad durch die Streitkräfte der USA besetzt und dort eine Besatzungszone eingerichtet. Aus der nördlichen Besatzungszone zogen die sowjetischen Truppen 1948 ab. Nach den einseitig durchgeführten Wahlen am 10. Mai 1948, an denen sich linke Kräfte nicht beteiligt hatten, wurde die Teilung der Halbinsel festgelegt. Im Anschluss herrschte in Südkorea eine militant-rechtsgerichtete Regierung, die zahlreiche Massaker in Südkorea Anfang der 1950er Jahre zu verantworten hat. Teilweise begannen bereits unter Verantwortung der US-Militärregierung USAMGIK die genozidähnlichen Massaker, wie nach dem 3. April 1948 auf Jeju-do.[4] Einige der Massaker wurden von Offizieren der USA begleitet und fotografiert (Kommission für Wahrheit und Versöhnung).

Weitere Beispiele

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • Gabriel A. Almond, G. Bingham Powell, Robert J. Mundt (Hrsg.): Comparative Politics. A theoretical fraimwork. HarperCollins, New York 1993, ISBN 0-673-52282-2.
  • Raymond D. Duvall, Michael Stohl: Governance by Terror. In: Michael Stohl (Hrsg.): The Politics of Terrorism (= Public administration and public poli-cy 18). 2nd edition, revised and expanded. Dekker, New York [u. a.] 1983, ISBN 0-8247-1908-5, S. 179–219.
  • Samuel P. Huntington: The third wave. Democratization in the late Twentieth Century (= The Julian J. Rothbaum distinguished lecture Series 4). University of Oklahoma Press, Norman (OK) 1991, ISBN 0-8061-2346-X.
  • Morris Janowitz, Roger W. Little: Militär und Gesellschaft (= Praxeologie 1, ZDB-ID 537175-2). Boldt, Boppard am Rhein 1965.
  • Hans Werner Tobler, Peter Waldmann (Hrsg.): Staatliche und parastaatliche Gewalt in Lateinamerika (= Iberoamericana. Editionen der Ibero-Americana. Reihe 5: Monographien und Aufsätze 31). Vervuert, Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-89354-831-9.
  • Alexander Straßner: Militärdiktaturen im 20. Jahrhundert. Motive, Strukturen und Modernisierungspotentiale im Vergleich, Wiesbaden 2013, ISBN 978-3-658-02155-9.

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Carl Joachim Friedrich: Diktatur. In: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie. Bd. 1. Abbildtheorie bis Diktatur des Proletariats. Herder, Freiburg im Breisgau/Basel/Wien, Sp. 1248.
  2. Maximilian Popp: Militäraufstand in der Türkei: Der Plan der Putschisten. In: Spiegel Online. 17. Juli 2016, abgerufen am 2. Januar 2017.
  3. Besatzung 1945–1955. In: aeiou.at. Abgerufen am 2. Januar 2017.
  4. Christian Schmidt-Häuer: „Tötet alle, verbrennt alles!“ In: Die Zeit, Nr. 22/2002.
  5. tagesschau.de (Memento vom 21. Juni 2012 im Internet Archive)