Der Gotthard besitzt mythische Qualitäten, doch noch nicht lange. Der Gotthard-Mythos ist nicht viel älter als hundert Jahre. Er ist im Zuge der Nationenbildung der Schweiz entstanden: Im Jahr 1900 wurde er vom deutschen Mittelalter-Historiker Aloys Schulte begründet. Tief in das Schweizer Kollektivbewusstsein eingegraben hat den Gotthard-Mythos dann die Geistige Landesverteidigung. Die Geschichtsschreibung hat indes nicht nur zur Konstruktion, sondern auch zur Dekonstruktion des Gotthard-Mythos beigetragen; zu nennen sind etwa die Werke von Guy Marchal, Jean-François Bergier und Jon Mathieu. Den Stein ins Rollen brachte Fritz Glauser 1979 mit dem Nachweis, dass der Gotthardpass im Mittelalter keine zentrale Rolle für die Eidgenossenschaft spielte. Der Brenner und die Bündnerpässe waren wirtschaftlich viel wichtiger. Heute versuchen Historiker und andere Geisteswissenschaftlerinnen, aus dem schwindenden Mythos Stoff für neue «Narrative» zu gewinnen.
Dieses e-Dossier stellt fünf historiographische Publikationen vor, die sich im 20. und 21. Jahrhundert mit dem Gotthard befasst haben. Sie zeugen vom Aufstieg wie vom Niedergang des Gotthard-Mythos.