Neulich kam ich in die Verlegenheit, auf einer Skipiste quer zu liegen. Auf dem Rücken, schräg zum Hang, ein Bein verdreht, einen Ski hatte ich verloren, er lag ein paar Meter weiter. Mir tat alles weh, trotzdem sah ich mich als Erstes von außen. Als eine jämmerlich anmutende Fahrspaßunterbrechung. Immerhin – das wusste ich, seit ich unten Ski, Stöcke, Helm, Schuhe und eine Gondelkarte bezahlt hatte – war ein Tag am Berg teuer. Jede Abfahrt hatte einen Gegenwert von 80 Euro. Wer auf dieser Fahrt fünfmal unnötigerweise bremsen oder ausweichen musste, durfte sich schon ärgern. Ich war diese Störung. Und ich war nicht elegant gefallen und nach Sekunden schon wieder so gut wie auf den Beinen. Ich war unter Geschrei meterweit getaumelt, dann fast gerettet, mit verdrehten Armen um Gleichgewicht rödelnd doch noch fies gefallen. Ich war hier – das war offensichtlich – die schlechteste Skifahrerin weit und breit. Es war mir total unangenehm. Und dann war mir unangenehm, wie unangenehm es mir war.
Natürlich benehme ich mich auch abseits einer Skipiste manchmal unfreiwillig peinlich, sage im Überschwang was Unpassendes, lache an der falschen Stelle oder falle – inzwischen allerdings echt selten – angetrunken die Treppe rauf. Aber Situationen, in denen ich so richtig im Weg bin, sind selten. Als Kind ist man es oft. Als Jugendliche fühlt man sich so, und als junge Mutter mit Kleinkind ist man es wieder ständig. Alles davon bin ich seit Jahren nicht mehr. Ich habe mich darin eingerichtet, nicht zu stören. Ich kann zügig ein- und aussteigen, ich bestelle, wenn ich dran bin, ich kann alles selbst tragen, ich laufe eine ordentliche Weile, ohne zu jammern, ich stehe in der Fußgängerzone nicht dusselig im Weg rum, und wenn ich an der Kasse aufgefordert werde zu zahlen, habe ich längst alles eingepackt und die Karte schon gezückt. Ich bin reibungslos unterwegs. Plötzlich war mir unangenehm, wie selten ich – metaphorisch gesprochen – querlag, im Weg war, mühsam, nervig, unliebsam.
Schon als kleines Mädchen hatte ich beigebracht bekommen, Platz zu machen. Etwa wenn jemand vorbeiwollte, schneller lief als ich, es eilig hatte. Noch heute machen mich hinter mir gehende Menschen nervös. Mein erster Impuls ist, beiseite zu gehen, mein zweiter, trotziger Gedanke ist, dass ich nicht ständig ausweichen muss. Ergebnis ist so oder so: leichter Stress. Es kämpft Mädchen-Ich gegen Frauen-Ich, aber wohin mit mir?
Kann es sein, dass ein Frauenleben daraus besteht, die fein säuberliche Erziehung wieder loszuwerden, die man als Mädchen erhalten hat? Und ist man vielleicht erst dann bei sich angekommen, wenn man keine Angst mehr davor hat, im Weg zu sein? Ja, sollte man diese Situationen nicht vielleicht sogar öfter suchen? Auf der Piste liegen, sich an der Kasse verquatschen, nicht ständig ausweichen, nerven statt einlenken, Aperol Sour bestellen statt immer Süßwasser-Spritz zu schlürfen. Auch auf die Gefahr hin, zu irritieren oder zu verärgern. Denn natürlich provoziert nichts so sehr wie eine Frau, die sich nicht mehr schämt. Man stelle sich das mal vor. Die Folgen wären geradezu unberechenbar. Wer aufhört gefallen zu wollen, auf den hat die Welt keinen sozialen Zugriff mehr.
Natürlich kann sich jede bewusst fürs Geschmeidig-, Dünn- und Normschön-Sein entscheiden, oder es gar als Notwendigkeit empfinden. Schließlich hätten es Frauen doch ohnehin schon schwer genug. Stimmt schon. Es gehört zu den Grausamkeiten des Lebens, dass innere Freiheit trotzdem nicht erlangt werden kann, solange Gefälligkeit praktiziert wird. Vielleicht muss man sich einfach gelegentlich querlegen. Tut weh, sieht blöd aus, aber fühlt sich auch herrlich lebendig an.