Männerquote: Ein Wirtschaftskrimi
Von Werner Siegert
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Buchvorschau
Männerquote - Werner Siegert
Das fängt ja gut an!
Ja, die Saison hatte für die Mordkommission II gut angefangen - wie man’s nimmt. Also na ja - von welcher Seite man es betrachtet: Es gab zwei mehr oder minder interessante Todesfälle, nichts, woran man wahrscheinlich länger zu knacken hatte. Allerdings mit hoher Priorität, weil die Öffentlichkeit aufgeschreckt war. Wo man in München auch hin hörte, in der S-Bahn, in den Kneipen, aber - was noch viel schwerwiegender war - in den besseren, ja allerbesten Kreisen, also im Bayerischen Hof oder im Foyer der „Vier Jahreszeiten", selbst im HILTON PARK und in Golf-Clubs begannen die Gespräche ...
„Haben Sie schon gehört? Ist das nicht schrecklich?"
„Die arme Familie ... mitten aus dem Leben!"
„Ein so hoch begabter und allseits beliebter Mann ... und dann kurz darauf gleich diese attraktive, kultivierte Migrantin, wie heißt sie doch noch ... ach ja ... Yasemin ... ist das nicht ein wunderschöner Name ... Türkin ... Akademikerin, einen Doktor hat sie gemacht ... soll man gar nicht glauben, gel? ob’s da einen Zusammenhang gibt? Eigentlich kaum denkbar, aber man munkelt!"
„Dieser Dr. Hanselmann, nie und nimmer hat der sich selbst umgebracht! Nie! Der war so erfolgreich, international als Koryphäe anerkannt, millionenfach hat er für afrikanische Familien Gutes getan, seine mobilen Solar-Apparate! Kein Familienmitglied muss mehr zig Kilometer laufen, um Brennholz zu sammeln, verdorrte Büsche abzuhacken, die letzten noch verbliebenen Bäume umzulegen. Jetzt schiebt man so ein Ding in die Sonne, schon kann man kochen und backen und hat abgekochtes, keimfreies Wasser. Und dann noch Strom für den Fernseher! Was für ein genialer Forscher! So viele Patente hat er seiner Firma eingebracht! So einer erschießt sich doch nicht selber! Aber hallo, das war doch die Konkurrenz oder die Mafia! Und die schöne Türkin, na ja, ohne Kopftuch, unverheiratet und immer mit Männern zusammen, da ist die Ehre schnell verletzt! Ich sag’s ja nur! Will ja nichts gesagt ha’m. Aber mit dem Dr. Hanselmann hat die nie und nimmer irgendwas gehabt. Der war ja glücklich verheiratet. Na ja - man steckt ja in den Menschen nicht drin. Appetit auf Exotik? Haben Sie das Foto in der BILD gesehen, diese langen, schwarzen Haare, ein rassiges Weib! Und jetzt tot!"
„Der Hanselmann Heiner, der war doch kurz vor dem Aufstieg! Vorstand! Konzernchef! Irgend sowas! Muss man ja machen; sonst geht so einer weg zur Konkurrenz. Dem sollen sie ja in USA Millionen geboten haben, sagt man. Nie und nimmer macht so einer Peng auf der Parkbank! An der Pistole sollen ja keinerlei Fingerabdrücke sein! Na, da weiß man doch schon alles! Ich tippe auf Auftragsmord! Irgendein Syndikat oder ein Konzern, dem er mit seinen Erfindungen das Geschäft vermasselt hat, steckt dahinter!"
Hauptkommissar Lothar Velmond war schon in der Morgendämmerung aus dem Bett geklingelt worden. Warum immer er, der auf seine alten Tage mal seine Ruhe haben wollte? Könnte doch der Kollege Maurice Elsterhorst übernehmen. Der war doch - wie man sagt - in den besten Jahren. Ein Jogger hatte den Dr. Hanselmann tot auf einer Bank im Grünwalder Forst gefunden. Velmond quälte sich knurrend aus dem Bett und eilte sofort zum Tatort, ungewaschen, unrasiert, in seinem alten Trenchcoat wegen des kalten Nieselregens, die grauen Haare hingen nass herunter. Der Platz war weiträumig abgesperrt. Ein Baldachin über der Bank aufgestellt. Die weißen Todesboten der Gerichtsmedizin klappten schon ihre Blechkoffer zu. Die Waffe lag bereits in der Plastiktüte, dreckverschmiert aus einer Pfütze geklaubt, aber nicht etwa direkt unter der Bank, sondern einige Schritte weiter. Lothar Velmond, der gerade seine Ermittlungen im Elysium-Fall abgeschlossen hatte und hoffte, nun einen Schlussstrich unter seine Berufstätigkeit ziehen zu können, hatte ohnehin noch eine andere „Leiche an der Backe", wie man zu sagen pflegt, in einem zerfetzten Schlauchboot am Starnberger See. Jetzt nochmal ran? Alles widerte ihn an in dieser eiskalten Morgenstunde, der scheußliche Anblick des Toten sowieso, der triste Matsch ringsum, die noch kahlen, Totenrufen gleich in den Himmel ragenden Bäume mit den kreischenden Krähen, die Orangenschalen unter der Bank, zwei leere Jägermeister-Fläschchen, Kronenkorken, Zigarettenkippen. Kein Milieu, in dem sich einer der oberen Zehntausend die Kugel geben sollte, in Anzug und Krawatte. Kein Mantel? Oder hatte den schon ein armer Penner geklaut? Oh, wenn er gekonnt hätte, er wäre geflohen. Für Sekunden ertappte sich Velmond dabei, den Toten zu beneiden. Der hatte alles hinter sich, weshalb und wie auch immer.
Na ja, dachte er sich, wenigstens ziemlich eindeutig ein Fall von Selbsttötung. Den könnte er relativ leicht zum Abschluss zu bringen. Obwohl - wie kam es, dass die Waffe so weit weg lag? Wenn sie dem Toten, der nach rechts weggekippt war, aus der Hand ins Gras gefallen war, wer hatte sie sich gegriffen und dann gleich wieder weggeworfen? Und: Warum bringt sich so ein von Erfolg zu Erfolg eilender Mann in der Mitte seiner Schaffenskraft um? Noch in seiner hastig übergeworfenen Kleidung eilte er zum Präsidium, wo er zum Rapport gerufen wurde. Die Sache mit dem Toten im Schilf solle er zurückstellen, das wäre ja ohnehin nur Gründeln in der Vergangenheit. Aber dies hier würde die Spitzen der Gesellschaft aufwühlen. Gerüchte, Gerüchte, die Presseleute schon da, obwohl seit der Tatzeit maximal zwölf Stunden vergangen waren. Offenbar wussten alle schon mehr als er. Das war nicht seine Welt - die Top-Manager. Die bildeten doch ohnehin längst eine Parallelgesellschaft, hinter ihren stacheldrahtgekrönten Schutzmauern in Grünwald, elektronisch vielfach gesichert, Einkaufen nur mit Begleitschutz. Einer seiner Schulkameraden hatte es zum Multimillionär geschafft, wohnte in einer von hohen Gittern abgesperrten Straße in Kronberg im Taunus. Seine Kinder können nur in einer gepanzerten Limousine zur Schule gebracht und wieder abgeholt werden. Haben einen Chip in der Kleidung. „Reichtum, mein lieber Lothar, hatte er tröstend zu ihm, dem kleinen Beamten gesagt, „ist ein Gefängnis. Ich beneide dich um deine Freiheit!
Inzwischen war der normale Morgen in dieser vom Lodenadel geprägten Stadt angebrochen - und er immer noch in seinen abgetragenen Klamotten, mit lehmverschmierten Schuhen, unrasiert. Schon der kurze Weg zu seinem kleinen Peugeot kam ihm wie ein Spießrutenlauf vor. Da preschten erneut Isarwagen mit Blaulicht aus der Tiefgarage. Was ist das für ein Tag, klagte er, emporschauend zu den welschen Kuppen des Doms? Jetzt begegnete er ausgerechnet auch noch seinem Kollegen Maurice Elsterhorst, der in gepflegter Dienstkleidung des Weges kam, allerdings ganz gegen seine Art mit einem Handy am Ohr, der schweifwedelnde Rinaldo zu seinem Herrchen neugierig aufschauend an seiner Seite.
„Ja? Wo? In Gern? Nymphenburger Straße? Wieviel? ... Ja, ich nehme sofort ein Taxi. Wie heißt die Frau? ... Jasmin? ... Yasemin mit Ypsilon und e? Und dann? ... Yülmaz? Auch wieder mit Ypsilon. Ach du lieber Gott, auch noch eine Türkin? ... Wie bitte? ... Doktor Yülmaz? Ärztin? ... Also irgendeine andere Frau Doktor! Ich komme sofort! Guten Morgen lieber Kollege Velmond, wo kommen Sie denn her?"
Elsterhorst schaute fast belustigt auf seinen Kollegen, ließ seine Blicke von oben nach unten und von unten nach oben schweifen.
„Wissen Sie’s noch nicht? Ich habe eine neue Leiche in Grünwald! Vermutlich Selbstmord. Irgendein prominenter Manager! Muss mich auch erst schlau machen. Jetzt schnell nach Hause, umziehen, und dann der Familie die Nachricht überbringen. Gibt es noch was Schlimmeres?"
„Ja, Herr Kollege, eine türkische Leiche in Gern! Das Kommissariat hat mich gerade angerufen. Dabei muss ich doch in der Entführungssache Krüner weiterkommen! Und jetzt so eine blöde ... wie soll die heißen ... Yasemin. Diese Yasemin stinkt mir, Jasmin wäre mir lieber!"
„Lieber Maurice, Sie wollten doch endlich mal eine schöne Leiche. Sie meinten doch immer, ich würde Ihnen stets die schönen Morde vor der Nase wegschnappen. Ganz sicher ist diese Yasemin eine orientalische Schönheit mit schwarzen Augen und glänzendem ebenholzschwarzem Haar! Dazu noch Akademikerin, also voll integriert! Hurtig! Ich wünsch’ Ihnen was! Aber ihren Hund, auch wenn er schwarz ist, dürfen Sie da nicht mit ermitteln lassen. Habe die Ehre!"
Aus der Traum
Als Lothar Velmond vor der Villa der Familie Hanselmann eintrifft, findet er kaum einen Parkplatz. Viele große schwarze Limousinen sind bereits vorgefahren. Zum Teil warten Chauffeure draußen - verstohlen rauchend, die Zigarette in der hohlen Hand verborgen. Sie warten auf ihre Chefs oder Chefinnen, auf Familienangehörige oder Geschäftsleute. Andere sitzen in ihren noblen Karossen und hören Musik. Die Nachricht vom Tod des Dr.-Ing. Heiner Hanselmann muss sich mit ungewöhnlicher Geschwindigkeit verbreitet haben.
Velmond kam sich blöd vor, wenn er - was nun seine Pflicht war - der Witwe vom Auffinden der Leiche ihres Mannes Kunde geben sollte, und sie längst Bescheid wusste. Nun gut - niemand kannte die Begleitumstände so genau wie er, und er musste - auch das war seine Pflicht - einige peinliche, eventuell schmerzliche Fragen stellen. Nur sein Ausweis öffnete ihm den Zugang zum prachtvollen Haus, unter dessen Säulenportal ihn ein livrierter Bediensteter bat, seine Visitenkarte auf einem silbernen Tablett abzulegen. Mit einem verlegenen Lächeln deponierte er seine Karte mit dem Dienstsiegel des Polizei-Präsidiums ganz oben drauf. Im Vestibül wollte man ihm seinen Mantel abnehmen, was er verweigerte und nach nochmaligem Vorzeigen seines Ausweises und Opfern einer weiteren Adresskarte darum bat, die Frau des Hauses in einem separaten Raum diskret sprechen zu dürfen. Aus den geöffneten Türen mehrerer Räume drang vielfältiges Gemurmel. Eine junge Frau mit weißem Spitzenkrönchen balancierte mehrmals ein Tablett mit Kaffee- oder Teetassen, dann auch mit Wassergläsern und einer Karaffe über den Flur. Schließlich erschien - bereits im Designer-Schwarz - die Dame des Hauses, eine hochgewachsene, schlanke Erscheinung mit dunklem Pagenkopf, die sich fast geschäftsmäßig nach seinem Begehr erkundigte. Für Velmond eine Spur zu kühl.
Seine Beileidsbekundung nahm sie fast geschäftsmäßig zur Kenntnis. Ach, was hatte Velmond in seiner langen, langen Dienstzeit für seelische und körperliche Zusammenbrüche erlebt, wenn er „kleinen" Leuten diese überaus fatalen Nachrichten überbringen musste, Nachrichten, die ganze Lebensentwürfe zusammenkrachen ließen. Hier entsprach die Reaktion dieser Frau, die sich ihm nicht einmal vorgestellt hatte, eiskalter Etikette. Als Kriminal-Hauptkommissar fühlte er sich in den Dienstboten-Status versetzt.
„Frau Hanselmann, ich muss Ihnen leider zu dieser für Sie überaus schmerzlichen Stunde ein paar Fragen stellen. Es geht ganz schnell. Später, morgen oder übermorgen werde ich sicher noch einmal wiederkommen, um ausführlichere Informationen einzuholen."
Ein Stuhl wurde ihm nicht angeboten. Auch kein Getränk. Man beliebte, sozusagen zwischen Tür und Angel, den ungebetenen Gast abzufertigen.
„Wann haben Sie Ihren Gatten zuletzt gesehen oder gesprochen?"
„Gesehen vor - glaube ich - drei Tagen. Ja, es war am vergangenen Montagmorgen, vor seiner Abreise. Gesprochen gestern am Spätnachmittag, als seine Maschine gelandet war und er direkt zur Firma fuhr - wie üblich."
„Wirkte er anders als sonst? Irgendwie niedergeschlagen? Enttäuscht? Hat er von irgendwelchen besonderen Ereignissen während seiner Reise nach ..."
„... Dubai, er war in Dubai ..."
„... hat er irgendwelche besonderen Ereignisse erwähnt?"
„Nein, nicht dass ich mich daran erinnern könnte. Ich nehme an, er war erfolgreich wie immer. Kontakte auf oberster Ebene. Was sonst?"
„Wann kam er dann nach Hause?"
„Es muss sehr spät gewesen sein. Ich habe schon geschlafen und ihn nicht gehört. Wir haben getrennte Schlafzimmer. Vielleicht hat er auch in seinem Büro geschlafen. Das kam öfter vor."
„Was macht Ihr Gatte beruflich ... hat er gemacht? Verzeihen Sie, ich habe bisher überhaupt keinen Einblick, weiß sozusagen gar nichts weiter über ihn."
„Heiner verkaufte diese mobilen Solar-Module, die er ja erfunden und weiter entwickelt hatte. Tausendstückweise. Braucht ja jeder. Vor allem dort, wo pausenlos die Sonne scheint. Nicht wie hier!" Frau Hanselmann wies mit der Hand in Richtung auf die Fenster, als wolle sie sagen „wo wir immer diesen Scheißnieselregen zu ertragen haben". So ein Kraftwort hätte ihrer seelischen Hygiene sicher gut getan.
„Hatte Ihr Gatte eine Pistole?"
Sie zuckte mit den Schultern: „Kann sein, kann auch nicht sein! Gezeigt hat er mir so ein Ding nie. Wozu auch?"
„Zum Selbstschutz? Er war ja doch eine sehr wichtige Persönlichkeit!"
„Ja, aber er hat sich nie besonders wichtig genommen. Er lebte ganz für seine Erfindungen, seine Forschung, sein Labor. Nicht für seine Familie! Ich glaube, er liebte die afrikanischen Kinder mehr als seine eigenen. War es das?"
Diese beiden Nachsätze zischten wie ein Torpedo, das irgendwo - in einer abgekühlten Seele abgefeuert - in einer bereits ermordeten Seele explodieren sollte.