Schweizer Deutsch

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Technische Universität Dresden WS 2013/2014

Fakultät Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften Studentin: Claudia D‘Alessandro

Institut für Germanistik E-Mail Adresse: claudia.dalessandro89@gmail.com

Professur für germanistische Linguistik und Sprachgeschichte

Seminar: Regionale Varietäten

Seminarleiterin: Dr. Evelyn Koch

Nationale Varietäten Schweiz


Phonetische, grammatische, lexikalische und
pragmatische Unterschiede
Gliederung

1. Einführung: die sprachliche Landschaft der Schweiz


2. Phonetische Variationen
2.1 Vokalen
2.2 Konsonanten
2.3 Diphthonge
2.4 Wortbetonung
2.5 Beispieltext

3. Grammatische Variationen (Morphologie und Syntax)


3.1 Schreibung
3.2 Abweichendes Geschlecht der Substantive
3.3 Kasus
3.4 Präpositionen
3.5 Plural des Substantivs
3.6 Affixe
3.7 Besonderheiten bei der Wortzusammensetzung und Abkürzungen
3.8 Pronomina
3.9 Verbformen
3.10 Satzbildung
4. Lexikalische Variationen
4.1 Spezifisch schweizerische Lexeme und Bedeutungserweiterung einiger deutschen
Wörter
4.2 Einflüsse aus fremden Sprachen
5. Pragmatische Variationen
6. Quellen
1. Einführung: die sprachliche Landschaft der Schweiz

Die Schweiz stellt sich als eine bemerkenswerte sprachliche Ausnahme in der
westlichen Welt heraus, weil sie offiziell als ein mehrsprachiges Land bezeichnet wird. In
anderen europäischen Ländern befinden sich doch bedeutsame linguistische Minderheiten
wie zum Beispiel in Italien, wo man eine bunte sprachige Landschaft betrachten kann, aber
der Status der Schweiz ist auffällig: vier Sprachen (Deutsch, Französisch, Italienisch und
Rätoromanisch) werden als nationale Sprachen anerkannt. Diese Vielfalt von Sprachen ist
sogar komplexer als man auf den ersten Blick beurteilen könnte. In diesem facettenreichen
linguistischen Bild ist die deutsche Sprache am meisten verbreitet: von 7 Millionen
Einwohnern sprechen Deutsch als Muttersprache ungefähr 5.5 Millionen Schweizer 1.
Deutsch ist unwiderruflich eine polyzentrische Sprache, weil sie von mehr als 90 Millionen
Leuten in Europa gesprochen wird; in diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Rolle und die
Stelle der schweizerischen Variante des Hochdeutschen sowohl in der deutschsprachigen
Welt als auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnisse mit den anderen nationalen
Sprachen zu berücksichtigen.

Was beträchtlich ist, sind zweifellos die Koexistenz der Hochsprache und eine große Vielfalt
von Mundarten oder Dialekten und deren überraschenderweise ausgeglichene Beziehung.
Konsequenterweise hat die entsprechende Mundart einen erheblichen Einfluss auf die
Hochsprache und sie verursacht auch markante Abweichungen: „Ein Schweizer, der
Hochdeutsch spricht, bringt ganz andere Ergebnisse hervor als ein Deutscher“. 2 Wie wir in
den nächsten Abschnitten vertiefen werden, weist jede Variante andere phonetische,
tonetische, grammatische und lexikalische Merkmale auf.

Die verschiedenen Dialekte haben eine regionale Herkunft, die einen alemannischen Stamm
hat. Die Schweiz genießt politische Unabhängigkeit seit dem Mittelalter, aber sie verfügt
immerhin über keine kodifizierte schweizerische Schriftsprache, damit das Land
diplomatische und kulturelle Beziehungen unterhalten konnte und am Handelsverkehr mit
1
Für den anfänglichen Teil der Einführung habe ich mich auf den folgenden Text bezogen: Panizzolo, Paola
(1982): Die schweizerische Variante des Hochdeutschen. Marburg: N. G. Elwert Verlag. S. 10-13.
2
Ib. S.12.
der restlichen deutschsprachigen Welt teilnehmen konnte/kann. Überdies hat sie keine
Koiné vielleicht wegen ihrer religiösen und Meinungsverschiedenheit entwickelt. Es begann
schon früh, die Mundarten zu pflegen und den Wert auf die Idiome zu legen als Zeichen für
eine starke Identität: 1862 wurde das erste schweizerische Idiotikon veröffentlicht. Die
ersten zwei Wörterbücher der deutschen Sprache in der Schweiz gehen auf 1561 mit
Maler’s Die Teütsch Spraach und auf 1656 mit Redinger’s Latinisher Runs zurück3. Diese
Tendenz wurde nach dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges hervorgehoben, indem die
Schweizer zu den Mundarten zurückfanden, um sich von den Deutschen zu differenzieren.

Eine „opportunistische“ schweizerische Koiné wird jedoch gelegentlich in Verhandlungen bei


Behörden, in Schulen, in öffentlichen Angelegenheiten und mit anderen deutschsprachigen
Gemeinschaften benutzt. Das Schweizerdeutsch hat einen Prominenten Wert in der Debatte
aufgrund der größten Anzahl von Sprechern, der geographisch zentralen Stelle und der
wirtschaftlichen und politischen Relevanz. Sonderegger fasst die entscheidenden Merkmale
dieser sprachlichen Situation zusammen4: in der Schweiz existieren zwei Varietäten der
deutschen Sprache und der Dialekt übernimmt eine größere Rolle; man muss den
lexikalischen Einfluss der romanischen Nachbarsprachen auf sowohl den Dialekt als auch das
Standardschweizerdeutsche beachten; die Dialekte haben eine schriftlich beweisbare bzw.
erkennbare Geschichte.

Um die Vielschichtigkeit des Deutschen in dieser mehrsprachigen Gesellschaft


terminologisch genauer zu definieren und beschreiben, soll man über Diglossie sprechen.
Das schweizerische politische System als dezentralisierter Bund, in dem viele Kantone
monolingual sind, ermöglicht, dass die linguistische Diversität behalten werden kann.
Diglossie stellt das linguistische Bild der Schweiz dar 5: in den deutschsprachigen Kantonen
beherrscht man sowohl die Hochsprache als auch den entsprechenden Dialekt. Charles
Ferguson war der erste Akademiker, der Diglossie definiert hat (1959): unter Diglossie
versteht man, dass zwei Varietäten derselben Sprache innerhalb einer Sprachgemeinschaft

3
Rash, Felicity (1998): The German Language in Switzerland – multilingualism, diglossia and variation. Bern:
Peter Lang. S. 120.
4
Sonderegger, Stefan (1964): „Ein Jahrtausend Geschichte der deutschen Sprache in der Schweiz“. In: Sprache,
Sprachgeschichte, Sprachpflege in der deutschen Schweiz. Sechzig Jahre Deutschschweizerischer Sprachverein,
zweite Ausgabe. Zürich: Geschäftsstelle des DSSV. S. 12-15.
5
Hove, Ingrid (22. Juni 2007): Die Aussprache des Deutschen in der Schweiz. Vortrag an der Jahrestagung des
Schweizerischen Vereins für die deutsche Sprache und der Gesellschaft für deutsche Sprache, Luzern. S. 5.
existieren und jede eine spezifische Funktion bekleidet 6. Damit ist eine funktionelle Diglossie
gemeint, in der der Dialekt ein hohes Ansehen hat, weil er die Muttersprache bleibt und
keinem Verfall begegnet. Andere sind der Meinung, dass es sich um keine perfekte Diglossie
handele7, weil das Schweizerdeutsch fast alle Funktionen in zahlreichen Domänen erfüllen
kann, die in anderen Gemeinschaften die Verwendung der Standardsprache benötigen
würden. Das Hochdeutsche wird hauptsächlich für geschriebene Zwecke und formelle
Konversationen benutzt, wobei das Schweizerdeutsche bei informellen Gelegenheiten, in
einer Vielzahl von Nachrichten sowie Volks- und Kinderliteratur bevorzugt wird.

Betrachtet man ein Kontinuum und Übergangsformen oder sind sie eindeutig getrennt?
Während Sieber8 behauptet, dass es kaum Übergangsformen zwischen diesen beiden
Sprachformen gebe, betont Markus Ramseier: „Die beiden Sprachformen Mundart und
Standardsprache sind nicht säuberlich nebeneinander angelegte, selbstständige Stücke einer
Sprache, sondern überlappen und durchdringen sich in hohem Maß“ 9. Auch nach Ammon ist
die Abgrenzung schwierig und er beobachtet „keine fließenden Übergänge (ein sogenanntes
>> Dialekt-Standard-Kontinuum <<) zwischen den beiden Sprachformen; ebenso fehlt eine
überregionale, aus dem Standard abgeleitete Umgangssprache. Die Sprache des alltäglichen
Umgangs bilden die Dialekte“.10

Im Gegensatz zu Deutschland, wo man tendenziell den Gebrauch der Dialekte stigmatisiert,


ist der Dialekt in der Schweiz nicht sozial markiert und er wird von allen sozialen Gruppen
verwendet; außerdem gilt er als ein Indikator für Patriotismus, Stolz und Distanzierung von
den Deutschen. Nach persönlicher Erfahrung kann ich behaupten, dass der Mangel an
Schweizerdeutschkenntnissen berufliche und gesellschaftliche Nachteile verursachen kann:
in einigen Jobanzeigen werden diese Sprachkenntnisse explizit erfordert oder sie erweisen
sich als eine empfehlenswerte Voraussetzung. Die Tendenz, den Dialekt in einer

6
Ferguson, Charles (1972, 1990): „Diglossia“. In: Pier Paolo Gagliolo (hrsg.), Language and Social Contex.
London: Penguin. S. 232.
7
Rash, S. 53.
8
Sieber, Peter und Horst Sitta (1986): Mundart und Standardsprache als Problem der Schule (= Reihe
Sprachlandschaft 3). Aarau/Frankfurt a.M./Salzburg: Sauerländer. S. 29.
9
Ramseier, Markus (1988): Mundart und Standardsprache im Radio der deutschen und rätoromanischer
Schweiz. Sprachgebrauch, Sprach- und Sprechstil im Vergleich (= Reihe Sprachlandschaft 6). Aarau/Frankfurt
a.M./Salzburg: Sauerländer. S. 545.
10
Ulrich Ammon, Hans Bickel, Jakob Ebner, et al. (1995): Variantenwörterbuch des Deutschen. Die
Standardsprache in Österreich, der Schweiz und Deutschland sowie in Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und
Südtirol. Walter de Gruyter, Berlin. S. XL.
zunehmenden Vielzahl von Situationen zu verwenden, nennt man „Mundartwelle“ 11. Die
Diglossie ist überhaupt nicht unproblematisch: viele Schweizer haben eine negative
Einstellung zur Hochsprache, die in politischen Verhandlungen und in formellen Kontexten
benutzt wird12. Die schweizerdeutschen Mundarten werden von den anderen nationalen
Sprachgemeinschaften als ein Hindernisfaktor für die Kommunikation betrachtet, weil sie
kaum verständlich sind. Es wird sogar ein abwertendes Wort erfunden, um auf diese
sprachliche Grenze anzudeuten. „Röschtigraben“ bezeichnet die Sprachgrenze zwischen der
deutschsprachigen und der französischsprachigen Schweiz.

Das Hochdeutsche wird in Erwägung als die Sprache der Formalität gezogen, die keinen
Bezug zur Alltagswelt hat: sie wird als eine Fremdsprache empfunden.

2. Phonetische Variationen13

2.1 Vokalen

Die markantesten phonologischen Abweichungen von der Hochsprache betreffen die


Vokallänge und die Vokalqualität:

- viele Vokale, wo sie im Hochdeutschen lang gesprochen werden, werden kurz


realisiert: Tisch, Bett, küssen, können, Hund Holz. Einige Langvokale werden hingegen
kürzer ausgesprochen: Biene, Beere, Bär, süss, schön, Zug, rot;
- der a-Laut wird tendenziell verdumpft bzw. velarisiert (Maßnahme);
- auslautende Schwa-Laute werden als kurzes offenes „e“ realisiert (Liebe, Tanze,
Grüne); es wird ähnlich in Präfixen <be-> und <ge-> ausgesprochen (bekannt,
gemacht);
- der Vokale i wird gerundet: wirklich wird als würklich realisiert;
- ü wird als Falldiphthong realisiert: guet anstatt gut;
- in Lehnwörtern wird „y“ als „i“ gesprochen: Gymnasium.
2.2 Konsonanten
11
Rash, S. 72.
12
Ib. S.70.
13
Für die angegebenen phonologischen Merkmale habe ich auf folgende Quellen beruht: Ammon (1995) LV-LXI,
Rash (1998) 154-7, Hove (2007) 9.
- Ein übergreifendes Phänomen betrifft die fehlende Stimmhaftigkeit der Verschluss-
und Reibelaute: eindeutig ist nur der Unterschied zwischen ungespannter und
gespannter Aussprache (Lenis gegenüber Fortis) bei folgenden Konsonantenpaaren
(b-p, d-t, g-k, v-f);
- Anlautende Plosive <p>, <t>, <k> verlieren vor Vokalen ihre Aspiration;
- <b>, <d>, <g> und <s> werden im An- und Inlaut stimmlos realisiert (Sagen, Boden);
- <b>, <d>, <g> und <s> werden mit stimmloser Lenis in einsilbigen Wörtern im Auslaut
ausgesprochen: die sogenannte Auslautverhärtung wird nicht durchgeführt (Rad,
lieb, Krug, Wald, Laub, Gras, Trog);
- <st> und <sp> werden im Wortinnern lenisiert (ist, Wesp, Vest);
- ch im Anlaut vor „e“ und „i“ wird als hinterer Reibelaut (gleicher Laut wie in ach [x])
gesprochen (Chemie, China); ch wird auch im Inlaut und in anderen Kontexten als [x]
ausgesprochen, wo es im Hochdeutschen /k/ wäre: Chaos, Chor, Fuchs, Dachs;
- geschriebenes g im Wort- und Silbenauslaut wird nicht als [-i ç] realisiert, sondern als
[ik]. Das gilt auch für unbetontes geschriebenes ig im Auslaut oder vor –t;
- der k-Laut wird affriziert und als [kx] ausgesprochen (krank, Ecke);
- anlautender k-Laut vor Vokal wird frikativiert (k-Verschiebung): Chönig vs. König;
- intervokalische Konsonanten werden lang gesprochen (Doppelkonsonanz): Egge,
Masse, besser, Himmel;
- der r-Laut wird praktisch immer konsonantisch gesprochen (entweder als Zäpfchen-r
oder Zungenspitzen-r). Nach Langvokal und in <-er>, <er-> und <ver-> wird er nicht
vokalisiert wie im Hochdeutschen: leer, Vater, erholen, verkaufen;
- Wort- und Silbenanlautendes v wird nicht nur in einheimischen Wörtern als [f]
ausgesprochen, sondern auch gelegentlich in romanischen Entlehnungen (Advent,
Advokat, Provinz);
- Fremdwörter aus dem Englischen mit geschriebenen a werden wie in der
Herkunftssprache gesprochen (Action, back).

2.3 Diphthonge
- Die Buchstabenkombinationen ie, ue/uo, üe/üo in Eigennamen und Ortsnamen
werden in der Schweiz gewöhnlich als fallende Diphthonge ausgesprochen, die in
Deutschland monophthongisch gesprochen werden (Rüeggisberg, Spiez, Brienz,
Diesbach, Küenzli, Ruoss);
- Der Diphthong ei wird oft gerundet: riise anstatt reißen;
- Der Diphthong eu wird monophthongisch realisiert: Tüüfel, Tüütsch.
- Der Diphthong [ei] englischer Fremdwörter ist in der Schweiz bewahrt (shake, Baby,
Make-Up, Steak).

2.4 Wortbetonung

Großen Einfluss hat der Dialekt auf die Aussprache besonders hinsichtlich der
Intonation bzw. der Wortbetonung. Tendenziell legt man sie im Schweizerdeutschen auf die
erste Silbe in verschiedenen Komposita (‘nachher, ‘rechtelmachtel), in vielen französischen
Lehnwörtern (Merci, Büro, Buffet, Filet) und in buchstabierten Abkürzungen (SBB, USA),
wobei sie im Hochdeutschen auf der zweiten oder dritten Silbe ist.

Was prosodische Aspekte der schweizerischen Variante betrifft, haben Paola Panizzolo und
Christiane Ulbirch andere Tonhöhebewegungen, mehr Melodiebewegungen, Silben- und
Vokaldehnung bei betonten und Kürzung bei unbetonten Silben festgestellt 14.

2.5 Beispieltext

In folgendem Abschnitt wird ein Beispieltext auf Schweizerdeutsch vorgestellt, der


mit der Version auf Hochdeutsch gegenübergestellt wird: beim Vergleichen fallen die
markantesten phonologischen Merkmale und Abweichungen der Mundart auf 15:
14
Panizzolo, Paola (1982): Die schweizerische Variante des Hochdeutschen. Marburg: N. G. Elwert Verlag. S. 41-
44; Ulbrich, Christiane (2003): „Prosodische Aussprachebesonderheiten der deutschen, österreichischen und
schweizerischen Standardvarietät des Deutschen in gelesenen Äußerungen von Nachrichtensprechern. In
Deutsch als Fremdsprache. Zeitschrift zur Theorie und Praxis des Deutschunterrichts für Ausländer. 3. Quartal
2003/Heft 3-40. Jahrgang, S. 157-8.
15
Siebenhaar, Beat (1997 unveröffentlicht): vollständig überarbeitete Neuauflage von Walter Vögeli: Mundart
und Hochdeutsch im Vergleich. In: Mundart und Hochdeutsch im Unterricht. Orientierungshilfen für Lehrer. Hg.
von Peter Sieber und Horst Sitta. Aarau, Frankfurt am Main, Salzburg: Sauerländer (Studienbücher
Sprachlandschaft 1), 2. Auflage.pdf-File: https://www.uni-leipzig.de/~siebenh/pdf/Siebenhaar_Voegeli_iPr.pdf.
S.85.
Schweizerdeutsch Hochdeutsch

Isch s Hoochtüütsch würkli so Ist Hochdeutsch wirklich so

schwèèr? schwierig?

S häisst, s Hoochtüütsch seig e Es heißt, das Hochdeutsche sei eine

Fröndspraach. Und koomisch: Me Fremdsprache. Und komisch: Man

säit Hoochtüütsch und mèrkt gar sagt Hochdeutsch und merkt gar

nöd, das me sälber au Hochtüütsch nicht, dass man selber auch

redt, nu e chli andersch als di Hochdeutsch spricht, nur ein wenig

Tüütsche. Da häpmi e Frau z anders als die Deutschen. Da hat

Griecheland, won i i de Fèrie gsii mich eine Frau in Griechenland, wo

bi, ime groosse Hotelgang ine ich in den Ferien gewesen bin, in

gfrööget: «Sii, wo gaats da duren einem großen Hotelgang gefragt:

zum Schwümmbad?» Si häggmäint, «Sie, wo gaats da duren zum

i seig en Tüütsche. Und miich hät Schwümmbad?» Sie hat gemeint,

de Tüüfel gschtoche, und i ha ich sei Deutscher. Und mich hat der

zruggfrööget: «Wollen Sii gogen Teufel gestochen, und ich hab'

schwümmen?» Druf hämmer beed zurückgefragt: «Wollen Sie gogen

müese lache. Ja, so gaats äim halt schwümmen?» Darauf haben wir

öppedie, hämmer zäme gmäint. Me beide lachen müssen. Ja, so geht es

findt de Rank nöd immer mit em einem halt manchmal, haben wir

Hoochtüütsch. Und mängisch, zusammen gesagt. Man findet den

wämes hät wele bsunders guet Rank nicht immer mit dem

mache, ischs ganz schief usechoo. Hochdeutschen. Und manchmal,

Und druufabe hät si der äint oder wenn man es besonders gut hat

ander gsäit: «I probiers gar machen wollen, ist es ganz schief

nüme.» Da hockts! Aber die Mäinig herausgekommen. Und daraufhin

dörfepmer nöd laa iiriisse, dänn hat sich der eine oder der andere

soo schwèèr, wies iez schiint, ischs gesagt: «Ich probier's gar nicht
halt au wider nöd. Das wämmer mehr.» Da hockt's! Aber diese

grad zäige. Meinung dürfen wir nicht einreißen

lassen, denn so schwer, wie's jetzt

scheint, ist's halt auch wieder nicht.

Das wollen wir grad zeigen.

Zahlreich sind die Abweichungen, die man im Text beobachten kann:

- Isch, ischs (ist, ist es): Lenisierung des st-Lautes;


- Tüütsch, druuf (Deutsch, darauf): monophthongische Realisation eines Diphthongs;
- usechoo (herausgekommen): monophthongische Realisation des Diphthongs au; k-
Verschiebung (der k-Laut vor Vokal wird frikativiert);
- nöd (nichts), würkli, Schwümmbad, iiriise (einreißen), schiint (scheint): Rundung eines
Vokals (i) und eines Diphthongs (ei);
- schwèèr: längerer Vokal;
- häggmäint (hat gemeint): Schwächung der unbetonten Silbe ge; Reduktion zu einem
Cluster mehrerer Lexeme (wie hämmer –haben wir-, nüme –nicht mehr-, die auch
eine Vokalrundung aufweisen);
- gfrööget (gefragt), zruggfrööget (zurückgefragt): Velarisierung des a-Lautes;
Schwächung der unbetonten Silben ge und zu; der k-Laut wird affriziert;
- müese (müssen), guet (gut): u und ü werden als fallender Diphthong ausgesprochen.

3. Grammatische Variationen

3.1 Schreibung

Seit der 1996 eingeführten Reform sind die Unterschiede in der Schreibung zwischen
Schweizerdeutsch und Deutsch gering16: im Schweizerdeutschen wird „ß“ durch „ss“ ersetzt
(Strasse anstatt Straße); der Umlaut ist öfter getilgt als im Hochdeutschen, indem man ein
„e“ nach dem Vokal hinzufügt (ae/oe/ue); Lehnwörter tendieren dazu, die ursprüngliche
Schreibung häufiger zu bewahren (Sauce anstatt Soße, Quai anstatt Kai, Crêpe anstatt Krepp,

16
Rash, S. 154.
chic anstatt schick, Réception anstatt Rezeption). Andere Differenzen bestehen in der
Konsonantenverdoppelung.

3.2 Abweichendes Geschlecht der Substantive

Substantive im Schweizerdeutschen weichen in hohem Maße bezüglich des


Geschlechtes vom Standard ab und solche Differenzen sind schwerlich regelmäßig 17.
Substantive, die im Hochdeutschen männlich sind, können entweder sächlich oder weiblich
sein:

HD SD

der Beleg das Beleg

der Koffer die Koffer

der Ort das Ort

der Reis das Reis

der Spargel die Spargel

Substantive, die im Hochdeutschen weiblich sind, können entweder männlich oder sächlich
sein:

HD SD

die Kartoffel der Kartoffel

die Nummer das Nummero

die Spitze der Spitz

17
Panizzolo, S. 44-47, Rash, S.157-8.
die Tram(bahn) das Tram

Bei einigen Substantiven impliziert die Abweichung des Artikels auch morphologische
Unterschiede. Überdies können Substantive, die im Hochdeutschen sächlich sind, entweder
männlich oder weiblich sein:

HD SD

das Viertel die Viertel

das Fräulein die Fräulein

das Foto die Foto

das Radio die Radio

das Taxi der Taxi

Der Artikel einiger Substantive der letzten Gruppe könnte von den anderen nationalen
Sprachen beeinflusst worden sein (zum Beispiel sind Foto, Fräulein, Radio im Französischen
und Italienischen auch weiblich: la photo/foto, la mademoiselle/signorina, la radio).

Im Schweizerdeutschen geht der bestimmte Artikel mehr Ortsnamen und Eigennamen (wie
in einigen Varietäten in Deutschland) voran: der Thurgau, der Peter. Man bezieht sich auf
Mädchen und Frauennamen mit dem sächlichen bestimmten Artikel.

3.3 Kasus

Einige Präpositionen regieren einen anderen Kasus als im Hochdeutschen 18: wegen,
trotz und während können mit dem Dativ benutzt werden: wegen dir anstatt deinetwegen;

18
Panizzolo, S.56.
während dem ganzen Tag anstatt während des ganzen Tages.

Außerdem wird der Akkusativ (sing., männlich) gelegentlich mit dem Nominativ
gleichgesetzt: es gibt kein Grund.

Der Genitiv wird weitgehend zur Zeitbestimmung verwendet: heute morgens, eines Monats.

Der Dativ erscheint oft bei Präpositionen mit doppelter Rektion in Fällen, in denen das
Hochdeutsche üblicherweise den Akkusativ vorsehen würde: Ich fahre in der Stadt.

3.4 Präpositionen

Spezifische Bedeutungen werden mit einigen Präpositionen assoziiert: ab für aus/nach


(zwanzig Minuten ab acht, ab der Fremde); an für auf/in (am Rücken, am Radio); in für zu
(im jetzigen Zeitpunkt)19.

Manche Verben, Substantive und Adjektive weisen eine andere Valenz auf als im
Hochdeutschen20: Antwort für (HD: auf), Bedarf von (HD: an), Beziehung mit (HD: zu),
Nachfrage über (HD: nach), behilflich zu (HD: bei), dankbar um (HD: für), froh um (HD: über),
verschieden zu (HD: von), beitragen an (HD: zu), kommen auf (HD: nach), interessiert sein in
(HD: an), helfen an (HD: bei), gratulieren für (HD: zu).

3.5 Plural des Substantivs

Differenzen hinsichtlich der Formation de Plurals sind auch zu betrachten, in der keine
bestimmten Regeln verfügbar sind, aber auffällig ist die Tendenz, dass mehr umgelautete
Pluralformen vorkommen als in Deutschland: Pärke (HD: Parken), Bögen (HD: Bogen).

3.6 Affixe

Im Schweizerdeutschen stellt man andere Allomorphe bei Wortendungen fest, die


vom HD-Standard abweichen: Sehnlichkeit (HD: Sehnsucht), Begründetheit (HD:
Begründung). Der Suffix –ler ist produktiver als im Hochdeutschen: Spörtler, Pöstler, Bähnler,
Bergler. Andere Suffixe stammen aus dem Dialekt wie –et: das Blühet (die Blütezeit), Tanzete

19
Rash, S. 160.
20
Panizzolo, S. 47, 49, 54, 55.
(das Tanzen). Das Suffix –i kommt häufig vor: Rolli (Schubkarre), Nuggi (Schnuller), Stürmi,
Muni.

Einige verbale Affixe werden mit Stämmen/Wurzeln zusammengestellt, die im


Hochdeutschen nicht zu finden sind: frägeln, pröbeln, erfallen, ertrügen, verunmöglichen,
verzeigen anstatt anzeigen, verhalten anstatt zuhalten. Komplexere Verbbildungen werden
durch den Suffix –ieren (parkieren, campieren, grillieren) oder –isieren (schubladisieren, „in
eine Schublade verschwinden lassen“) realisiert. Einfachere verbale Formen werden auch
verwendet: blätter für durchblättern, denken für nachdenken. Zur zweiten Person Präsens,
dessen Stamm im s, ss, z, x, ch endet, wird –est (anstatt –st) hinzugefügt: reisest, wünschest,
sitzest21.

3.7 Besonderheiten bei der Wortzusammensetzung und Abkürzungen

Fugenzeichen werden im Schweizerdeutschen willkürlich eingeschoben bzw.


ausgelassen und man betrachtet manchmal radikale Unterschiede vom Beifügen von
Fugenelementen im Hochdeutschen, wie Felicity Rash eindeutig betont und ich
darauffolgend zusammengefasst habe22:

Fugenzeichen Schweizerdeutsch Hochdeutsch

-e Ja: Tagblatt Nein: Tageblatt

-s Ja: Nein: Nein: Ja:


Schweinsbraten, Sonntagausgabe Schweinbraten, Sonntagsausgabe
Sportsteil , Jahrzahl Sportteil , Jahreszahl

-en Ja: Lastenzug, Nein: Sonnseite Nein: Lastzug, Ja: Sonnenseite


Uhrenmacher Uhrmacher

Abkürzungen von Substantiven sind gewöhnlich: Elast[ik], Matur[ität], Dezi[liter],


Heli[kopter]; kürzere Formen von deutschen Substantiven sind auch üblich (Rückbildung):
Unterbruch anstatt Unterbrechung, Rücksand anstatt Rücksendung.

3.8 Pronomina

21
Rash, S. 158; Ammon, S. LXXII.
22
Rash, S. 159.
Bemerkenswert ist die Verwendung von Relativpronomina: wo bekleidet eine
vielfältige Funktion und es kann sich im Schweizerdeutschen sogar auf Personen beziehen:
Ein Mann, wo Geld verdient hat; etwas, wo niemand weiß; der Tisch, wo darauf ein Buch
liegt23.

3.9 Verbformen

Viele sind die Besonderheiten, die Verbformen im Schweizerdeutschen hinsichtlich


der Konjugation und der Konstruktion komplexerer Strukturen und Tempi angehen. Die
zusammengesetzten Vergangenheitsformen (Perfekt, Plusquamperfekt) von intransitiven
Verben werden zum Beispiel mit dem Hilfsverb sein gebildet, wo sie im Hochdeutschen
immer mit haben konstruiert werden: hängen, liegen, sitzen, schweben, stehen24.

In der 1. Person Singular (Nominativ) wird das Personalpronomen ausgelassen: Wenn etwas
kaufe, gebe dir morgen. Es ist wahrscheinlich ein Resultat des Einflusses der herumliegenden
Sprachen: Italienisch wird als Pro-Drop-Sprache bezeichnet, weil es in romanischen Sprachen
im Allgemeinen (außer Französisch) üblich ist, das Subjekt im Nominativ zu elidieren. Auch
im Interrogativsatz wird die 2. Person Singular oft weggelassen (Was meinst?).

Andere beträchtliche Merkmale betreffen das Erscheinung oder die Auslassung des Ablautes
(er bratet, er fallt, er haltet, er hangt, er lauft, er ladet, er ratet, er wascht – ihr fährt, ihr fällt,
ihr schläft), die Konjugation (einige schwache Verben werden stark konjugiert – gebauen,
überzogen – oder umgekehrt – getrügt, gebittet, gedenkt, gekennt), manche Präfixverben
(ich anerkenne anstatt ich erkenne an) und die Verwendung von Reflexivverben ohne
Reflexivpronomen (ändern, auseinandersetzen)25.

3.10 Rektion des Verbs

Viele Verben, Adjektive sowie Substantive werden im Schweizerdeutschen mit


anderen Präpositionen und einem anderen Kasus kombiniert: erwähnen und genießen

23
Panizzolo, S. 49-50.
24
Ammon, S. LXXII.
25
Panizzolo, S. 51-54.
regieren den Genitiv; bedürfen, halten und nützen regieren den Akkusativ; warten und rufen
regieren den Dativ26.

3.11 Satzbildung

Letztlich treten auch satzsyntaktische Besonderheiten auf: wie in einigen romanischen


Sprachen (in der Nachbarsprache Italienisch zum Beispiel) sind mehrere
Negativkonstruktionen möglich, die keinen semantischen Unterschied aufweisen: das ist
kein schöner Hund/ das ist nicht ein schöner Hund 27. Außerdem ist nennenswert die
Verwendung der Konjunktion dass, die sogar zur Einleitung von abhängigen
Interrogativsätzen nach Frageadverbien und –pronomina gebraucht wird (ich weiß nicht,
warum dass er nicht kommt). Dass wird anstatt damit sogar in Finalsätzen benutzt.
Außerdem muss die Mundart verursacht haben, dass die Endstellung des Infinitivs und des
Partizips im Hauptsatz und des Vollverbs im Nebensatz nicht beachtet wird (gestern habe ich
gekauft Milch und Kekse; an deiner Stelle wird kommen Mia)28.

4. Lexikalische Variationen

4.1 Spezifisch schweizerische Lexeme und Bedeutungserweiterung einiger


deutschen Wörter

Im Schweizerdeutschen gebraucht man weitgehend Entlehnungen aus den fremden


Nachsprachen, aber es weist auch aus dem Dialekt entnommene Lexeme, die im
Hochdeutschen nicht gebräuchlich oder sogar unverständlich sind. Entscheidend erweist sich
Eichhoffs Wortatlas der deutschen Umgangssprachen (1977), der eindeutig zeigt, dass
lexikalische Varianten über nationale Gebiete und Grenzen hinausgehen, wie Felicity Rash
beobachtet29.

Schweizerdeutscher Wortschatz teilt einige Eigenschaften mit der österreichischen Varietät:


Geiss (Ziege), Ross (Pferd).
26
Panizzolo, S. 54-5, Ammon, S. LXXIII.
27
Panizzolo, S. 58.
28
Ib.
29
Rash, S. 161.
Viele Helvetismen sind in allen Dialekten vorhanden, daher werden sie als „nationale
Helvetismen“ benannt: sie entstanden aus den einzigartigen sozialen und politischen
Umständen der Schweiz, die seit 1291 Unabhängigkeit genießt, und manchmal verfügen sie
über keine direkte Entsprechungsform im Hochdeutschen 30. Unter allgemeineren nationalen
Helvetismen sind die folgenden häufig mitzuzählen: Röschti (Bratkartoffeln), Znüni (kleiner
Imbiss gegen 9 Uhr), Zvieri (kleiner Imbiss um 4 Uhr), Hornussen (ein Spiel), Erdschlipf
(Schlammlawine), lismen (stricken), urchig (bodenständig), Ätti (Vater), Erdapfel (Kartoffel,
Frz.: pomme de terre), Letzi (Abschiedsfeier), Löli (Dummkopf, Pinsel), Maudi (Kater), Stürmi
(ungeduldiger, unbedachter Mensch), Täubi (Zorn, Wut), ertäuben (erzürnen), sich
wüstsagen (sich beschimpfen), nachten (Nacht, dunkel werden), serbeln (kränkeln, welken);
das Schweizerdeutsche besteht auch aus abweichenden Präpositionen, die auf die
Mundarten zurückgehen oder Rudimente vom Alt- bzw. Mittelhochdeutschen sind: bis und
mit (bis zu), ennet (jenseits), innert (innerhalb), nid (unterhalb), vorgängig (vor). Viele
Lexeme sind Teil der Verwaltungs- und Rechtsterminologie sowie politisch konnotiert:
Erdgenosse (Schweizer), Rütlischwur (Eid, den auf der Rütliwiese bei der Gründung der
Eidgenossenschaft geschworen wurde), Amman (Vollziehungsbeamter), Ständerat
(Oberhaus), Kantonsrat, Kanton (Bundesland), Tagwacht (Weckruf), Franken (schweizerische
Währungseinheit), Rappen (schweizerische Münze), berappen (bezahlen).

Die Herkunft mancher Wörter und deren situative Verwendung sind Dialekten verankert:
absitzen (sich setzen), gluschig (lecker), Mischtchratzerli (kleines Huhn), Cheib (Fluchwort).
Wenige Helvetismen wurden in den hochdeutschen Wortschatz einbezogen und sie sind
sogar in anderen Sprachen angenommen worden: Müesli, Rösti, Lawine, Rufe.

Andere Lexeme, die begrenzt in Deutschland verwendet werden, sind jedoch üblich in der
Schweiz: Matte (Wiese), Kehricht (Abfall, Müll), Schragen (Campingliege), stetsfort
(immerfort), Bauernsame (Bauernschaft), Geschma. Im Vergleich zum Hochdeutschen wird
die Bedeutung einiger Wörter verschoben bzw. erweitert: Anzug (Antrag im Parlament),
Auffahrt (Aufstieg), Bühne (Heuboden), Scheune (Saustall), Kleid (Anzug), dürr (geräuchert),
fest (gut gebaut, muskulös), zügig (auffällig), Geschmack (Geruch), Gipfel (Hörnchen),
Hausmeister (Hausbesitzer), (der) Luft (Wind), Umgang (Vorhang), schaffen (arbeiten),
abschaffen (bezahlen), hausen (sparen), springen (laufen), hinter sich (rückwärts), begreiflich
30
Die mitgebrachten Beispiele beziehen sich auf Rash (1998, S. 162-166), Panizzolo (1982, S. 60-65), Ammons
Wörterbuch (passim).
(natürlich), für sich (vorwärts). Veraltete Wörter überleben nur im Schweizerdeutschen,
wobei damals sie im ganzen deutschsprachigen Raum verbreitet waren: Liegenschaft (Stück
Land, Eigentum), einhellig (einstimmig), inskünftig (in Zukunft). Letztlich lohnt es sich, einige
Redewendungen zu erwähnen: einen Span ausgraben (einen Streit suchen), kein Bein, kein
Knochen (kein Mensch), jemandem den Bart anhängen (jemanden verantwortlich machen),
die Hefte revidieren (Aussichten Meinungen überprüfen und ändern).

4.2 Einflüsse aus anderen Sprachen

Helvetismen entstehen weitgehend aus Entlehnungen von anderen Sprachen, die


einen ausschlaggebenden Einfluss ausgeübt haben31. Einige Sprachwissenschaftler
behaupten, dass das Schweizerdeutsche ausgeschlossener für fremde Sprachen sei als
andere Varietäten des Deutschen. 1291 wurden drei deutschsprachige Gemeinschaften
(heutige Kantone Uri, Schwyz und Unterwalden) unabhängig vom deutschen Kaisertum und
sie gründeten die sogenannte schweizerische Eidgenossenschaft. Die Urschweiz war
ausschließlich deutschsprachig, aber sie fing früh an, eng in Kontakt mit den französischen
und italienischen Sprachgemeinschaften zu treten. Die ursprüngliche Einstellung zu fremden
Einflüssen war negativ: sie trug später jedoch zur kulturellen und linguistischen Bereicherung
sowie zur Schöpfung neuer Begriffe bei. Der Wortschatz einer Sprache spiegelt Kontakte mit
anderen Sprachen und Kulturen wider und er ist die Domäne, in der es manifest ist,
inwieweit eine Sprache kulturelle Wenden registriert hat. Die Gründe für die Annahme von
Lehnwörtern können entweder eine praktische Notwendigkeit und lexikalische Ergänzung
(Bedürfnislehnwort) oder eine stilistische und ästhetische Auswahl (Luxuslehnwort) 32 sein.
Schweizerdeutsch ist einer massiven Wirkung der Nachbarsprachen unterworfen, aber nicht
umgekehrt: in der alltäglichen Konversation benutzen die deutschsprachigen Schweizer
ziemlich viele Wörter, die aus fremden Sprachen kommen. Im Mittelalter war Latein die
lingua franca, die Sprache der internationalen Verhältnisse und der Bildung. Im 16.
Jahrhundert hat Latein fortgesetzt, auf den schweizerdeutschen Wortschatz zu wirken.
Beispiele: Gletscher (glacies), Föhn (favonius), Salär (< salarium, Gehalt), Obligatorium
(Pflichtfach, Pflichtleistung), Referendum (Volksabstimmung). Viele lateinische Lehnwörter
überlappen sich mit französischen und italienischen Entlehnungen: sie wirken darum vor
allem indirekt auf das Schweizerdeutsche. Die meisten kommen direkt aus dem
31
Panizzolo, S. 75-83, Rash S. 193-217.
32
Rash, S. 197.
Französischen und sie werden in geringerem Maße im Hochdeutschen verwendet oder
ausgestorben sind: Billet(t) (Fahrkarte), Coiffeur (Friseur), Gilet (Weste), Jupe (Frauenrock),
Konfiserie (Konditorei), Malaise (Überlkeit), Merci (Dankeschön), assee (< assez, genug),
äxgüsi (< excusez, Entschuldigung), Occasion, Abbonent, Affiche, Rendez-vous, Kondukteur,
Cliché, Façon.

In der Renaissancezeit (15.-16. Jahrhundert) war Italienisch eine sehr relevante Sprache
vorwiegend in kulturellen und literarischen Bereichen. Später besetzen italienische
Lehnwörter auch die Felder der Landwirtschaft, des Haushaltes, der Mode und Gastronomie.
Aufgrund der Nahe zum italienischsprachigen Kanton Tessin sind einige Lehnwörter
spezifisch schweizerisch. Beispiele: Salü (Begrüßungsformel unter Bekannten), Marend (<
Merenda, Nachmittagsimbiss), Manestre (< Minestra, Suppe), Kaparre (< Caparra, Pfand),
Kardifiol (< Cavolfiore, Blumenkohl).

Englisch ist ein wesentlicher Einfluss seit dem 20. Jahrhundert und noch wichtiger seit dem
zweiten Weltkrieg in allen Varietäten des Deutschen und ein bedeutsamer Bestandteil der
Umgangssprache und der Alltagssprache der Jugend. Ausschließlich schweizerisch sind die
folgenden Entlehnungen: snöben (to snowboard, snowboarden im Hochdeutschen), Car
(Autobus für Ausflugfahrten), Change (Geldwechsel), Tea-Room (alkoholfreies Café – in
Deutschland nicht übrig).

5. Pragmatische Variationen

Was das Sprachverhalten der Schweizer betrifft, betrachtet man in erster Linie
bedeutende Variationen in Begrüßungen/Grußformeln und in den Anreden 33. Ammon stellt
mehr Unterbrechungen in der Konversation in Deutschland als in der Schweiz fest;
außerdem ist der Gebrauch von Abtönungspartikeln eh und halt typisch für Süddeutschland,
die Schweiz und Österreich; sie sind dennoch jetzt auch in Norddeutschland ausgebreitet. In
der Aufführung einiger Sprechakte gibt es auch Unterschiede: in Deutschland wird es
gewöhnlicher beim Bestellen im Restaurant, „ich kriege X“ zu sagen, wobei in der Schweiz
„ich hätte gern X“ zu bevorzugen ist. Indirektere Redeeinstiege, Entleiteformulierungen und
Höflichkeitsformen werden erheblich benutzt und Konversationsregeln werden strenger
33
Ammon, S. LXXIV, LXXV.
eingesetzt (Duzis machen wird trotzdem immer üblicher in der Schweiz) 34; weniger Wert
wird jedoch auf berufliche bzw. akademische Titel gelegt als in Deutschland und Österreich.
Begrüßungen und Verabschiedungen stellen sich als soziale Rituale heraus 35: sie verkörpern
eine entscheidende Art von Sprachverhalten, das für die gesellschaftliche Kohäsion in vielen
Kulturen unerlässlich ist. Unter verschiedenen Begrüßungsformeln nennt man: grüezi
(mitenand/zamme), grüezi wol, guete Morge, salü, tschau, uf wider luege, adieu, schöne
Tag/Namittag/Aabig, schöns Wochenend, schöni Fäschtäg, schöni Wiinachte/Oschtere, es
guets neus Jahr/gueti Rutsch. Solche Formeln werden regelmäßig von anderen
Komponenten geprägt, weil man auf Formalitäten achtet: die Begrüßungen hallo, salü und
hoi gehen gewöhnlich dem Eigennamen voran.

34
Rash, S. 277.
35
Rash, S. 278.
6. Quellen

1. Ammon, Ulrich, Hans Bickel, Jakob Ebner, et al. (1995): Variantenwörterbuch des


Deutschen. Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz und Deutschland sowie
in Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol. Walter de Gruyter, Berlin;

2. Ferguson, Charles (1972, 1990): „Diglossia“. In: Pier Paolo Gagliolo (hrsg.),
Language and Social Contex. London: Penguin;

3. Hove, Ingrid (22. Juni 2007): Die Aussprache des Deutschen in der Schweiz. Vortrag
an der Jahrestagung des Schweizerischen Vereins für die deutsche Sprache und
der Gesellschaft für deutsche Sprache, Luzern;

4. Panizzolo, Paola (1982): Die schweizerische Variante des Hochdeutschen. Marburg:


N. G. Elwert Verlag;

5. Ramseier, Markus (1988): Mundart und Standardsprache im Radio der deutschen


und rätoromanischer Schweiz. Sprachgebrauch, Sprach- und Sprechstil im
Vergleich (= Reihe Sprachlandschaft 6). Aarau/Frankfurt a.M./Salzburg:
Sauerländer;

6. Rash, Felicity (1998): The German Language in Switzerland – multilingualism,


diglossia and variation. Bern: Peter Lang;

7. Siebenhaar, Beat (1997 unveröffentlicht): vollständig überarbeitete Neuauflage


von Walter Vögeli: Mundart und Hochdeutsch im Vergleich. In: Mundart und
Hochdeutsch im Unterricht. Orientierungshilfen für Lehrer. Hg. von Peter Sieber
und Horst Sitta. Aarau, Frankfurt am Main, Salzburg: Sauerländer (Studienbücher
Sprachlandschaft 1), 2.Auflage. pdf-File: https://www.uni-
leipzig.de/~siebenh/pdf/Siebenhaar_Voegeli_iPr.pdf;

8. Sieber, Peter und Horst Sitta (1986): Mundart und Standardsprache als Problem
der Schule (= Reihe Sprachlandschaft 3). Aarau/Frankfurt a.M./Salzburg:
Sauerländer;

9. Sonderegger, Stefan (1964): „Ein Jahrtausend Geschichte der deutschen Sprache


in der Schweiz“. In: Sprache, Sprachgeschichte, Sprachpflege in der deutschen
Schweiz. Sechzig Jahre Deutschschweizerischer Sprachverein, zweite Ausgabe.
Zürich: Geschäftsstelle des DSSV;

10. Ulbrich, Christiane (2003): „Prosodische Aussprachebesonderheiten der


deutschen, österreichischen und schweizerischen Standardvarietät des Deutschen
in gelesenen Äußerungen von Nachrichtensprechern. In Deutsch als
Fremdsprache. Zeitschrift zur Theorie und Praxis des Deutschunterrichts für
Ausländer. 3. Quartal 2003/Heft 3-40. Jahrgang.

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