Meister Eckhart Predigt 6 Seite 1
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Sankt Jakob sagt in der Epistel: "Die allerbeste Gabe und Vollkommenheit kommen von oben herab
vom Vater der Lichter" (Jak. 1, 17).
Nun gebt acht! Ihr müsst dies wissen: Die Menschen, die sich Gott überlassen und mit allem Fleiß
nur seinen Willen suchen was immer Gott einem solchen Menschen gibt, das ist das Beste;
sei dessen so gewiss, wie dass Gott lebt, dass es notwendig das Allerbeste sein muss und dass es
sonst keine Weise geben könnte, die besser wäre. Mag es auch sein, dass doch etwas anderes besser
scheine, so wäre es für dich doch nicht so gut; denn Gott will eben diese Weise und nicht eine
andere, und diese Weise muss notwendig für dich vergängt oder nicht verhängt oder was dir Gott
gibt oder nicht gibt, das alles ist für das Beste; sei's, dass du keines von beiden, weder Andacht noch
Innerlichkeit hast und was immer du hast oder nicht hast: Stelle dich nur recht darauf ein, dass du
Gottes Ehre in allen Dingen im Auge hast, und was immer er dir dann antut, das ist das Beste.
Nun könntest du vielleicht sagen: Woher weiß ich, ob es der Wille Gottes sei oder nicht? Wisset:
Wäre es Gottes Wille nicht, so wäre es auch nicht. Du hast weder Krankheit noch irgend etwas, Gott
wolle es denn. Und da du denn weißt, dass es Gottes Wille ist, so solltest du soviel Wohlgefallen
und Befriedigung daran haben, dass du keine Pein als Pein erachtest; ja, käme es selbst
Alleräußersten der Pein, empfändest du dann irgend etwas von Pein oder Leiden, so wäre das selbst
dann noch völlig verkehrt; denn du sollst es von Gott als Allerbestes nehmen, weil es notwendig
dein Allerbestes sein muss. Denn Gottes Sein hängt daran, dass er das Beste wolle. Darum muss
auch ich es wollen, und nichts soll mir besser behagen. Wollte ich einem Menschen mit allem Fleiß
gefallen und wüsste ich dann für gewiss, dass ich diesem Menschen besser gefiele in einem grauen
Kleide als in in irgendeinem andern, wie gut es auch wäre, so gibt es darüber keinen Zweifel, dass
mit dieses Kleid wohlgefälliger und lieber wäre als irgendein anderes. Wohlan, nun prüft euch selbst
daraufhin, wie es mit eurer Liebe bestellt ist! Liebtet ihr Gott, so könnte euch nichts lustvoller sein,
als was ihm am allerbesten gefiele und dass sein Wille am allermeisten an uns vollbracht würde.
Wie schwer auch die Pein oder das Ungemach scheinen mag, hast du nicht ebenso großes
Wohlbehagen darin, so steht es nicht recht damit.
Ich pflege oft ein Wörtlein zu sprechen, und es ist auch wahr: Wir rufen alle Tage und schreien im
Paternoster: "Herr, dein Wille werde!" (Matth. 6, 10). Und wenn dann sein Wille wird, so wollen
wir zürnen, und sein Wille befriedigt uns nicht. Indessen was immer er täte, das sollte uns am
allerbesten gefallen. Die es so als Bestes hinnehmen, die bleiben bei allen Dingen in
vollkommenem Frieden. Nun dünkt es euch mitunter, und ihr sagt: "Ach, wäre es anders
gekommen, so wäre es besser", oder: "Wäre es nicht so gekommen, so wäre es vielleicht besser
gekommen." Solange es dich so dünkt, wirst du niemals Frieden gewinnen. Du sollst es als
Allerbestes hinnehmen. Dies ist der erste Sinn dieses Schriftwortes.
Es gibt auch noch einen anderen Sinn, den bedenket mit Fleiß! Er (Sankt Jakob) sagt: "Alle Gabe".
Nur was der Allerbeste und Allerhöchste ist, das sind eigentliche Gaben und im allereigensten
Sinne. Gott gibts so gern wie große Gaben. Ich sagte einst an dieser Stätte, dass Gott sogar lieber
große Sünden vergibt als kleine. Und je größer sie sind, um so lieber und schneller vergibt er sie.
Und ganz so steht es mit der Gnade und Gabe und Tugend: je größer sie sind, um so lieber gibt er
sie; denn seine Natur hängt daran, dass er große Dinge gebe. Und darum, je wertvoller die Dinge
sind, um so mehr gibt es ihrer. Die edelsten Kreaturen sind die Engel, und sie sind rein geistig und
haben keinerlei Körperlichkeit an sich, und von ihnen gibt es am allermeisten, und ihrer gibt es
mehr als die Summe aller körperlichen Dinge. Große Dinge heißen recht eigentlich "Gaben" und
gehören ihm (Gott) am allereigentlichsten und allerinnigsten zu.
Ich sagte eins: Was im eigentlichen Sinne in Worten geäußert werden kann, das muss von innen
heraus kommen und sich durch die innere Form bewegen, nicht dagegen von außen herein kommen,