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Sachstand
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Inhaltsverzeichnis
1. Einführung 4
2. Geschichtliche Hintergründe 5
2.1. Die Besatzung Griechenlands in den Jahren 1941 bis 1944 5
2.2. Entstehung der „Deutschen Restschuld“ 5
2.3. Deutsche Reparationszahlungen nach dem Zweiten Weltkrieg 7
4. Fazit 13
5. Literatur 14
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1. Einführung
In den vergangenen Jahren ist die so genannte „Deutsche Restschuld“, die in der 1945 erstellten
Akte R 27320 mit 476 Mio. Reichsmark (RM) beziffert wird, wiederholt zum Gegenstand öffent-
licher Diskussion geworden.1 Sowohl in Griechenland als auch in Deutschland wird darüber ge-
stritten, ob die deutsche Bundesregierung in der rechtlichen, politischen oder moralischen Ver-
antwortung steht, die aus einer Zwangsanleihe entstandene „Deutsche Restschuld“ zurückzuzah-
len, welche Griechenland der Deutschen Wehrmacht während der Besatzung in den Jahren 1941
bis 1944 zur Verfügung stellen musste. Verschiedenen Schätzungen zufolge beträgt ihr heutiger
Wert zwischen 3,5 Mrd. und 75 Mrd. US-Dollar.2 Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen
Bundestages gehen von einer Summe von 8,25 Mrd. US-Dollar aus.3
Im ersten Teil erfolgt eine kurze Erläuterung der geschichtlichen Hintergründe, in der dargestellt
wird, wie die „Deutsche Restschuld“ zustande gekommen ist und welche Entschädigungen
Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg an Griechenland gezahlt hat.
Im zweiten Teil wird die gegenwärtige Diskussion um die Rückzahlungsforderung der „Deut-
schen Restschuld“ erörtert, wobei die Einschätzungen der griechischen und deutschen Regierung
wiedergegeben und unterschiedliche Aspekte der Diskussion zusammengefasst werden.
1 PAAA, R 27320, „Wirtschaftsverwaltung in Griechenland unter deutscher Besatzung während des zweiten
Weltkrieges 1941-1944“ (April 1945); (PAAA = Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes).
Anmerkung: Die Akte R 27320 „Wirtschaftsverwaltung in Griechenland unter deutscher Besatzung während des
zweiten Weltkrieges 1941-1944“ wurde kurz vor Kriegsende von dem NS-Regime angefertigt. In dem Kapitel
„Das Finanzwesen einschliesslich der Besatzungskosten in Griechenland während der Besatzungszeit 1941-44“
(S. 70-156) wird unter anderem eine Bilanzierung der Besatzungskosten vorgenommen.
3 WD 4, Berechnungen zur sogenannten griechischen Zwangsanleihe von 1942, Kurzinformation der Wissen-
schaftlichen Dienste, 3. April 2012, WD 4 – 3000 – 093/12.
4 WD 2, Zur Frage von Reparationsansprüchen Griechenlands gegen Deutschland aus dem Zweiten Weltkrieg,
19. April 2012, WD 2 – 3000 – 037/12 und WD 4, Zur griechischen Zwangsanleihe von 1942, 11. Dezember
2013, WD2 – 3000 – 093/13 (siehe Anlage 1 und 2).
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2. Geschichtliche Hintergründe
Im April 1941 fielen deutsche Wehrmachttruppen in Griechenland ein und besetzten das Land
innerhalb weniger Wochen. Unterstützt wurden sie von den alliierten italienischen Truppen,
denen es zuvor nicht gelungen war, Griechenland im Alleingang zu erobern. In den folgenden
Jahren bestimmten Gewalt, Hunger und Tod das Leben vieler Griechen. Schätzungsweise 60.000
ermordete griechische Juden, über 100.000 Hungertote, ein erheblicher Abfall der Geburtenrate
und epidemische Infektionskrankheiten, von denen bis zu 70 Prozent der Bevölkerung betroffen
waren (insbesondere Kinder), waren die Bilanz der Besatzung. Hinzu kamen materielle Verluste
durch die okkupationsbedingte Hyperinflation sowie die Zerstörung der Infrastruktur durch sys-
tematische Demontage und Vernichtung.5
Nach dem Einmarsch der deutschen und italienischen Truppen in Griechenland im April 1941
wurde die griechische Regierung zur Übernahme der gesamten Besatzungskosten genötigt. Ein
Jahr später, im März 1942, wurde der Anteil Griechenlands an den Besatzungskosten aus wirt-
schaftlichen Gründen begrenzt.6 Dennoch musste die griechische Regierung weiterhin den ge-
samten Finanzbedarf der Besatzungstruppen – zu denen sowohl Besatzungskosten als auch
Kriegskosten zählten – zur Verfügung stellen. Die über den Anteil Griechenlands hinausgehen-
den Beträge wurden der deutschen und italienischen Regierung fortan auf einem zinslosen Son-
derkonto angelastet.7
In der Akte R 27320, in der die Anteile Griechenlands an den Besatzungskosten als „Abschläge“
und die von Griechenland vorfinanzierten Anteile des Deutschen Reiches und Italiens als „An-
lastungen“ bezeichnet werden, heißt es:
5 Siehe Hagen Fleischer und Despina Konstantinakou, Ad calendas graecas? Griechenland und die deutsche
Wiedergutmachung, in: Hans Günter Hockerts et al. (Hrsg.), Grenzen der Wiedergutmachung: die Entschädigung
für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa, 1945-2000, Göttingen 2006, S. 375 ff. sowie Hagen Fleischer, „Wenn
ihr euch erinnert, können wir vergessen“, Bundeszentrale für politische Bildung, 17. März 2014,
http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/griechenland/177895/deutsche-besatzungszeit
(letzter Zugriff 26.03.2015).
6 Zunächst wurde der Anteil Griechenlands an den Besatzungskosten mit 1,5 Mrd. Drachmen (DR) pro Monat
veranschlagt. Wegen der zunehmenden Entwertung der Drachme wurde dieser Festbetrag im Dezember 1942
durch eine an die Kaufkraft der Drachme gekoppelte flexible monatliche Abschlagszahlung ersetzt (PAAA, R
27320 (siehe Fn. 1), S. 82 f. und 87 ff.).
„Die Anlastungen stellen politische Schulden gegenüber der griechischen Regierung dar.
Es ist offen geblieben, in welcher Weise diese Schulden getilgt werden sollen. Der wie-
derholt geäusserte Wunsch der griechischen Regierung, ihre Forderungen aus Besat-
zungskosten gegen ihre Clearingschulden verrechnen zu dürfen, ist stets abgelehnt wor-
den.“8
Ab April 1943 tilgte das Deutsche Reich der Akte zufolge einen Teil seiner Anlastungen in
monatlichen Raten. Nach Rückzahlung von 760 Mrd. DR blieb demnach eine „Reichsver-
schuldung gegenüber Griechenland“ von 299 Bio. DR offen:
Umgerechnet in Reichsmark und unter Berücksichtigung von Kursschwankungen ergab sich be-
sagte „Deutsche Restschuld“ von 476 Mio. RM:
9 Zur Entstehung der „Deutschen Restschuld“ siehe auch: Hagen Fleischer und Despina Konstantinakou (Fn. 5),
S. 375 ff. und Hagen Fleischer, Schuld und Schulden, Süddeutsche Zeitung, 26. März 2015,
http://www.sueddeutsche.de/politik/schuld-gegenueber-griechenland-schuld-und-schulden-1.2410244 (letzter
Zugriff 30.03.2015).
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Da Deutschland und seine ehemaligen Kriegsgegner nach Ende des Zweiten Weltkriegs keinen
förmlichen Friedensvertrag schlossen, blieb eine umfassende vertragliche Regelung von Repara-
tionspflichten vorerst aus. Dies traf auch für Griechenland zu.10
Auf der Pariser Reparationskonferenz von 1945/46 einigten sich die westlichen Alliierten über
die Grundzüge deutscher Reparationszahlungen. Von den 14 Mrd. US-Dollar, die Griechenland
ursprünglich für Kriegs- und Besatzungsschäden gefordert hatte, wurden 7,181 Mrd. US-Dollar
gebilligt. Das Abschlussdokument der Konferenz, das Pariser Reparationsabkommen von 1946,
legte allerdings keine absoluten Entschädigungssummen fest, sondern prozentuale Anteile eines
Reparationsfonds, dessen endgültige Höhe noch ausstand.11 Die im Rahmen des Pariser Reparati-
onsabkommens gelieferten Entschädigungen, die Griechenland in den folgenden Jahren in Form
von industriellen Gütern erhielt, hatten lediglich einen Gegenwert von ca. 25 Mio. US-Dollar.12
Mit dem Londoner Schuldenabkommen von 1953 vereinbarten die Vertragsstaaten – unter denen
sich auch Griechenland befand – die Verhandlungen über Reparationszahlungen bis zu einer
„endgültigen allgemeinen Regelung dieser Angelegenheit“, also bis zum Abschluss eines Frie-
densvertrags, zurückzustellen.13
Durch den „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechen-
land über Leistungen zugunsten griechischer Staatsbürger, die von den nationalsozialistischen
Verfolgungsmaßnahmen betroffen sind“ (das so genannte „Globalentschädigungsabkommen“)
verpflichtete sich die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1960 zur Zahlung von 115 Mio. DM
an Griechenland.14 Der Vertrag bezog sich explizit auf die Entschädigung von griechischen
Staatsangehörigen, die aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung von
nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen waren, und deren Angehörige.
10 WD 2, Zur Frage von Reparationsansprüchen Griechenlands gegen Deutschland aus dem Zweiten Weltkrieg
(Fn. 4), S. 9.
11 Agreement on reparation from Germany, on the establishment of an Inter-Allied Reparation Agency and on the
restitution of monetary gold, Paris, 14. Januar 1946,
https://treaties.un.org/doc/Publication/UNTS/Volume%20555/volume-555-I-8105-English.pdf (letzter Zugriff
am 30.03.2015).
12 Hagen Fleischer und Despina Konstantinakou (Fn. 7), S. 381f. Siehe auch Richard M. Buxbaum, From Paris to
London: The Legal History of European Reparation Claims: 1946-1953, in: Berkeley Journal of International
Law, 2013, http://scholarship.law.berkeley.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1441&context=bjil (letzter Zugriff
am 30.03.2015).
Darüber hinausgehende Reparationsfragen wie die Rückzahlung der „Deutschen Restschuld“ re-
gelte der Vertrag nicht.15
1990 schlossen die Bundesrepublik Deutschland und die DDR zusammen mit den USA, der Sow-
jetunion, Frankreich und dem Vereinigten Königreich den „Vertrag über die abschließende Re-
gelung in Bezug auf Deutschland“ (den so genannten „Zwei-plus-Vier-Vertrag“).16 In dem „an-
statt eines Friedensvertrags“ verabschiedeten Abkommen fanden Reparationszahlungen keine
explizite Erwähnung. Die Annahme, dass der „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ Deutschland implizit
von Reparationspflichten befreite, bleibt bis heute umstritten (siehe Kapitel 3.4).17,18
In der gegenwärtigen Diskussion bezeichnen Politiker, Historiker und Journalisten die „Deutsche
Restschuld“ überwiegend als „griechische Zwangsanleihe“ oder als „griechischen Zwangskre-
dit“. Dabei muss unterschieden werden zwischen „Abschlägen“ (Zwangsabgaben ohne Rückzah-
lungsabsicht), „Anlastungen“ (Zwangsabgaben mit Rückzahlungsabsicht) und „Deutscher Rest-
schuld“ (Anteil der „Anlastungen“, die nicht zurückgezahlt wurden). Die nachfolgenden Ausfüh-
rungen beziehen sich auf die Rückzahlungsforderung der „Deutschen Restschuld“ von 476 Mio.
RM, auch wenn diese nicht immer trennscharf von anderweitigen Reparationsforderungen aus
der Besatzungszeit Griechenlands unterschieden wird.
15 Siehe WD 2, Zur Frage von Reparationsansprüchen Griechenlands gegen Deutschland aus dem Zweiten Welt-
krieg (Fn. 4), S. 10.
17 Siehe WD 2, Zur Frage von Reparationsansprüchen Griechenlands gegen Deutschland aus dem Zweiten Welt-
krieg (Fn. 4), S. 11 f.
18 Zur Geschichte deutscher Reparationszahlung an Griechenland siehe auch Hagen Fleischer und Despina Kon-
stantinakou (Fn. 12), Sven Felix Kellerhof, Griechische Wirtschaft wurde ausgeplündert, Welt am Sonntag, 18.
September 2011, http://www.welt.de/print/wams/politik/article13611126/Griechische-Wirtschaft-wurde-
ausgepluendert.html (letzter Zugriff am 30.03.2015) und Constantin Goschler, Schuld und Schulden – Verges-
sene und verdrängte Fakten zur Frage deutscher Reparationen für Griechenland, Süddeutsche Zeitung,
19. März 2015, http://www4.rz.ruhr-uni-
bochum.de:8227/imperia/md/content/ng2/goschler_19_3__a.pdf?timestamp=1426789304 (letzter Zugriff am
30.03.2015).
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Seit der deutschen Wiedervereinigung haben griechische Politiker die Rückzahlung der „Deut-
schen Restschuld“ wiederholt eingefordert. Im Zuge der europäischen Finanzkrise seit 2007 er-
langte die Rückzahlungsfrage in Griechenland eine besondere innen- und außenpolitische Rele-
vanz. Auf Verlangen der Opposition richtete das griechische Finanzministerium im September
2012 eine Arbeitsgruppe ein, um entsprechende Rückzahlungsansprüche zu prüfen. 2013 wurde
der Druck der Opposition größer, woraufhin die Regierung unter Präsident Antonis Samaras (Nea
Dimokratia) im Frühjahr 2014 eine überparteiliche parlamentarische Kommission bildete, die
sich mit den Erfolgsaussichten der Forderungen auseinander setzen sollte. Im Januar 2015 bekräf-
tigte der neu gewählte griechische Präsident Alexis Tsipras (Syriza) die Rückforderung der
„Deutschen Restschuld“:
„Eine Syriza-Regierung wird mit großer Entschiedenheit fordern, dass Deutschland un-
bezahlte Schulden aus der Besatzungszeit zurückzahlt: Entschädigungen für Nazi-
Kriegsverbrechen und die Rückzahlung des Zwangskredits.“19
Eine offizielle Rückzahlungsforderung der griechischen Regierung ist bei der deutschen Bundes-
regierung bislang (Stand: April 2015) nicht eingereicht worden.20
Die deutsche Bundesregierung hat die Rückzahlungsforderung der „Deutschen Restschuld“ wie-
derholt zurückgewiesen.21 Im Februar 2014 vertrat sie erneut die Ansicht, dass die deutschen
„Anlastungskosten“ aus der Besatzungszeit „Zwangsanleihen“ darstellen, deren Rückforderung
als Reparationsforderung zu klassifizieren sei. Reparationsforderungen aus der NS-Zeit seien al-
lerdings durch das „Globalentschädigungsabkommen“ von 1960 und den „Zwei-plus-Vier-
Vertrag“ von 1990 abschließend geregelt worden.22 Des Weiteren ist die deutsche Bundesregie-
rung der Auffassung, dass Reparationsforderungen aus der Besatzungszeit Griechenlands durch
das NS-Regime auf Grund des langen Zeitraums hinfällig geworden seien:
19 Jerry Sommer, Tsipras-Forderungen - Deutschlands Schulden aus der Vergangenheit, Deutschlandfunk, 27.
Januar 2015, http://www.deutschlandfunk.de/tsipras-forderungen-deutschlands-schulden-aus-
der.795.de.html?dram:article_id=309864 (letzter Zugriff 30.03.2015).
Zunächst stellt sich die Frage, ob die Rückforderung der „Deutschen Restschuld“ als Reparati-
onsforderung oder als Kreditrückzahlungsforderung im zivilrechtlichen Sinne zu qualifizieren
ist, da sich aus der Klassifizierung unterschiedliche Rechtsfolgen ergeben.
Der Historiker Hagen Fleischer ist der Ansicht, dass die Rückforderung der „Deutschen Rest-
schuld“ als Kreditrückzahlung im zivilrechtlichen Sinne zu klassifizieren sei. Historische Quel-
len wie die Akte 27320 belegen seiner Meinung nach den „kreditären Charakter“ der „Anlastun-
gen“, der sich sowohl im Sprachgebrauch als auch in der Rückzahlungspraxis des Deutschen
Reiches erkennen ließe.24
Der Völkerrechtler Andreas Kulick hingegen hegt Zweifel daran, dass die Rückforderung der
„Deutschen Restschuld“ als Kreditrückzahlung im zivilrechtlichen Sinne gewertet werden kann.
In diesem Falle müsste Griechenland darlegen, dass die „Anlastungen“ durch einen ordentlichen
Vertrag zwischen souveränen Staaten geregelt worden seien. Die Argumentation Griechenlands
basiere jedoch gerade auf der Tatsache, dass es sich um eine vom Deutschen Reich aufgezwunge-
ne Zwangsabgabe in Zeiten der Besatzung handele, welche mit erheblichen Gewalttaten der Na-
tionalsozialisten einherging.25
Obwohl die Frage der Klassifizierung strittig ist, hat sich in der Politik und in der Fachliteratur
mehrheitlich die Ansicht durchgesetzt, dass die Rückforderung der „Deutschen Restschuld“ als
Reparationsforderung zu betrachten ist.
25 Kolja Schwarz und Frank Bräutigam, Griechische Forderungen an Deutschland. Wie berechtigt sind die Forde-
rungen?, in: tagesschau.de, 10.02.2015, http://www.tagesschau.de/ausland/griechenland-forderungen-faq-
101.html (letzter Zugriff 30.03.2015).
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Dem kann zum einen entgegen gehalten werden, dass sich das „Globalentschädigungsabkom-
men“ von 1960 explizit auf individuelle Entschädigungsleistungen an betroffene griechische
Staatsangehörige bezieht und darüber hinaus gehende Reparationsfragen wie die Rückzahlung
der „Deutschen Restschuld“ unberührt lässt (siehe hierzu Anlage 1, Kapitel 2.5).26
Darüber hinaus war Griechenland kein Vertragspartner des „Zwei-plus-Vier-Vertrags“. Hier gilt
im nationalen wie im internationalen Recht das Prinzip, dass Verträge nicht zu Lasten Dritter
abgeschlossen werden dürfen. Allerdings hat Griechenland mit der Unterzeichnung der Charta
von Paris den „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ mit „großer Genugtuung [zur] Kenntnis“ genommen, was
Interpretationsspielraum für eine nachträgliche Zustimmung lässt (siehe hierzu Anlage 1, Kapi-
tel 3.1).28
Des Weiteren ist strittig, ob ein möglicher Rückzahlungsanspruch der „Deutschen Restschuld“
auf Grund des langen Zeitraums heute noch geltend gemacht werden könnte. Da Griechenland
70 Jahre lang keine offiziellen Rückzahlungsforderungen gestellt hat, könnte eine „stillschwei-
gende Zustimmung“ angenommen werden, mit der sich der griechische Rückzahlungsanspruch
verwirkt hätte (siehe hierzu Anlage 1, Kapitel 3.3.1).29
26 Siehe WD 2, Zur Frage von Reparationsansprüchen Griechenlands gegen Deutschland aus dem Zweiten Welt-
krieg (Fn. 4), S. 10 f.
27 Siehe BGH, Urteil vom 26.06.2003, AZ III ZR 245/98, Rz. 30 und WD 2, Zur Frage von Reparationsansprüchen
Griechenlands gegen Deutschland aus dem Zweiten Weltkrieg (Fn. 4), S. 11 f.
28 Siehe WD 2, Zur Frage von Reparationsansprüchen Griechenlands gegen Deutschland aus dem Zweiten Welt-
krieg (Fn. 4), S. 11 f. sowie Hagen Fleischer (Fn. 5) und Kolja Schwarz und Frank Bräutigam (Fn. 25).
Die Bundesregierung ist hingegen der Ansicht, dass es wegen des Kalten Krieges zu keiner Rege-
lung der Reparationszahlungen kam und dass die in dem Londoner Schuldenabkommen vorge-
sehene endgültige Regelung der Reparationszahlungen bei Abschluss des „Zwei-plus-Vier-
Vertrags“, der erst 50 Jahre später erfolgte, obsolet geworden sei.31
Für die bewusste Aufschiebung einer endgültigen Regelung der Reparationszahlungen spricht
eine Korrespondenz aus dem Jahr 1969, in welcher das Auswärtige Amt dazu rät, den „Zwi-
schenzustand des Nichtzustandekommens eines Friedensvertrages so lange wie möglich auf-
rechtzuerhalten, um diese Forderungen unserer einstigen Gegner durch Zeitablauf einer Verwir-
kung oder Verjährung zuzuführen.“32
Insgesamt spielt neben der völkerrechtlichen Dimension der „Deutschen Restschuld“ auch die
politisch-moralische Dimension eine bedeutende Rolle. Der Historiker Constantin Goschler kriti-
siert die Politisierung der „Deutschen Restschuld“ im Zusammenhang mit der europäischen Fi-
nanzkrise seit 2007 und plädiert für einen sensiblen Umgang mit dem Thema, welches nicht für
„kurzfristige politische Positionsgewinne“ instrumentalisiert werden sollte.33
„Viele Deutsche […] haben den Eindruck, die Regierung Tsipras in Athen benutze eine
alte deutsche Schuld, um berechtigte Reformforderungen aus Berlin und Brüssel abzu-
wehren. Da mag etwas daran sein. Richtig ist aber auch, dass Griechenland schon seit
30 Hagen Fleischer, „Wenn ihr euch erinnert, können wir vergessen“ (Fn. 5).
32 PAAA, B 86/1271, April 1969, zitiert aus Hagen Fleischer, „Wenn ihr euch erinnert, können wir vergessen“
(Fn. 5).
sehr langer Zeit Entschädigung für Weltkriegsunrecht fordert. Deutschland hat diese An-
sprüche strikt zurückgewiesen, wie ein kühler Geschäftsanwalt.“34
Ulrich hält die juristische Klärung der „Deutschen Restschuld“ für ungeeignet und fordert die
Bundesregierung auf, mit politischen Mitteln – mit Stiftungen, Spenden, Stipendien und gemein-
samen Aufbauprojekten – „Wiedergutmachung“ zu leisten.35
4. Fazit
Die in der Akte R 27320 als „Deutsche Restschuld“ bezeichnete Summe von 476 Mio. RM wird in
der gegenwärtigen Diskussion überwiegend als „griechische Zwangsanleihe“ oder als „griechi-
scher Zwangskredit“ bezeichnet. In der Akte wird allerdings weder der Begriff „Anleihe“ noch
„Kredit“ benutzt. Nichtsdestotrotz wird bei genauerer Lektüre deutlich, dass es sich bei den über
die „griechischen Abschläge“ hinausgehenden Beträgen um „deutsche Anlastungen“ bzw. „Ver-
bindlichkeiten“ handelt, die als „politische Schulden“ bezeichnet werden und für deren „Til-
gung“ beziehungsweise „Rückzahlung“ konkrete Pläne dargelegt werden.
Es lässt sich schlussfolgern, dass es sich bei der „Deutschen Restschuld“ von 476 Mio. RM um
einen Geldbetrag handelt, den Griechenland „zu Lasten“ des Deutschen Reiches vorfinanzierte
und den das Deutsche Reich Griechenland im finanziellen Sinne „schuldig“ war. Da es sich um
Beträge handelt, die die deutsche und italienische Regierung der griechischen Regierung gewalt-
sam auferlegten, und die den Charakter eines zinslosen Kredits beziehungsweise einer zinslosen
Anleihe aufweisen, ist es nicht abwegig in diesem Kontext von einer „Zwangsanleihe“ oder ei-
nem „Zwangskredit“ zu sprechen.
Ob die Rückforderung der „Deutschen Restschuld“ als Reparationsforderung oder als Kreditrück-
zahlung im zivilrechtlichen Sinne zu betrachten ist, und welche Konsequenzen aus der jeweili-
gen Klassifizierung hervorgehen müssten, ist juristisch nicht abschließend geklärt.
34 Stefan Ulrich, Zeigt mehr Mitgefühl, in: Süddeutsche Zeitung vom 7. April 2015,
http://www.sueddeutsche.de/politik/griechische-reparationsforderungen-an-deutschland-zeigt-mehr-
mitgefuehl-1.2424476 (letzter Zugriff 10.04.2015).
Letztendlich wäre es Aufgabe der Gerichte, Rechtsklarheit zu schaffen, sofern Griechenland seine
Forderungen wirksam geltend machen würde. Zuständig wäre der Internationale Gerichtshof
(IGH) in Den Haag. Zu einem Verfahren könnte es im Falle einer griechischen Klage allerdings
nur dann kommen, wenn sich die Bundesregierung für einen solchen Fall der IGH-
Gerichtsbarkeit ad hoc freiwillig unterwirft. Deutschland hat zwar 2008 eine generelle Unterwer-
fungserklärung abgegeben – diese umfasst allerdings nur Streitigkeiten, deren Sachverhalte sich
auf die Zeit nach 2008 beziehen.37
5. Literatur
Buxbaum, Richard M., From Paris to London: The Legal History of European Reparation Claims:
1946-1953, Berkeley Journal of International Law, 31:2, 2013,
http://scholarship.law.berkeley.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1441&context=bjil (letzter
Zugriff am 30.03.2015).
Fleischer, Hagen, „Wenn ihr euch erinnert, können wir vergessen“, Bundeszentrale für politische
Bildung, 17. März 2014,
http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/griechenland/177895/deutsche-besatzungszeit
(letzter Zugriff 26.03.2015).
Fleischer, Hagen, Schuld und Schulden, Süddeutsche Zeitung, 26. März 2015,
http://www.sueddeutsche.de/politik/schuld-gegenueber-griechenland-schuld-und-schulden-
1.2410244 (letzter Zugriff 30.03.2015).
Fleischer, Hagen und Konstantinakou, Despina, Ad calendas graecas? Griechenland und die
deutsche Wiedergutmachung, in: Hans Günter Hockerts et al. (Hrsg.), Grenzen der Wiedergutma-
chung: die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa, 1945-2000, Göttingen 2006.
Goschler, Constantin, Schuld und Schulden – Vergessene und verdrängte Fakten zur Frage deut-
scher Reparationen für Griechenland, Süddeutsche Zeitung, 19. März 2015, http://www4.rz.ruhr-
uni-bochum.de:8227/imperia/md/content/ng2/goschler_19_3__a.pdf?timestamp=1426789304
(letzter Zugriff am 30.03.2015).
37 Zur Rechtslage eines griechischen Rückzahlungsanspruchs der „Deutschen Restschuld“ gegenüber der Bundes-
republik Deutschland sei auf die Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes von 2012 und 2013 verwiesen.
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Kellerhof, Sven Felix, Griechische Wirtschaft wurde ausgeplündert, Welt am Sonntag, 18. Sep-
tember 2011, http://www.welt.de/print/wams/politik/article13611126/Griechische-Wirtschaft-
wurde-ausgepluendert.html (letzter Zugriff am 30.03.2015).
WD 2, Zur Frage von Reparationsansprüchen Griechenlands gegen Deutschland aus dem Zweiten
Weltkrieg, 19. April 2012, WD 2 – 3000 – 037/12 (Anlage 1).
WD 2, Zur griechischen Zwangsanleihe von 1942, 11. Dezember 2013, WD2 – 3000 – 093/13 (An-
lage 2).
Schwarz, Kolja und Bräutigam, Frank, Griechische Forderungen an Deutschland. Wie berechtigt
sind die Forderungen?, tagesschau.de, 10.02.2015,
http://www.tagesschau.de/ausland/griechenland-forderungen-faq-101.html (letzter Zugriff
30.03.2015).