„Kleinbürger“ – Versionsunterschied

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
[gesichtete Version][gesichtete Version]
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
K Abschnittlink korrigiert
bei Zitaten bitte die Originalschreibung lassen
Markierung: Manuelle Zurücksetzung
 
(26 dazwischenliegende Versionen von 17 Benutzern werden nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
{{Begriffsklärungshinweis|Für das Drama von Maxim Gorki siehe [[Kleinbürger (Gorki)]].}}
{{Begriffsklärungshinweis|Für das Drama von Maxim Gorki siehe [[Kleinbürger (Gorki)]].}}
[[Datei:Kleinbürgerhäuser Holstenstraße 42-44 (Kiel 44.689).jpg|mini|Kleinbürgerhäuser in der Kieler [[Holstenstraße (Kiel)|Holstenstraße]], etwa 1904]]
'''Kleinbürger''' hießen ursprünglich jene Angehörigen des [[Bürgertum]]s, die dessen unterster [[Soziale Schichtung|Schicht]] angehörten, wie [[Handwerk]]er, kleine Kaufleute, Volksschullehrer u.&nbsp;Ä. als Gegenbegriff zum [[Großbürgertum]]. Heute wird mit dem Begriff laut dem [[Duden]] ein „Angehöriger des unteren [[Mittelstand]]es“ oder [[Pejoration|abwertend]] ein „[[Spießbürger]]“ beschrieben.<ref>[http://www.duden.de/rechtschreibung/Kleinbuerger ''Kleinbürger''] in duden.de, abgerufen am 22. Dezember 2014</ref>
'''Kleinbürger''' hießen ursprünglich jene Angehörigen des [[Bürgertum]]s, die dessen unterster [[Soziale Schichtung|Schicht]] angehörten, wie [[Handwerk]]er, kleine Kaufleute, [[Volksschullehrer]] u.&nbsp;Ä. als Gegenbegriff zum [[Großbürgertum]]. Heute wird mit dem Begriff laut dem [[Duden]] ein „Angehöriger des unteren [[Mittelstand]]es“ oder [[Pejoration|abwertend]] ein „[[Spießbürger]]“ beschrieben.<ref>[https://www.duden.de/rechtschreibung/Kleinbuerger ''Kleinbürger''.] duden.de, abgerufen am 22. Dezember 2014</ref>


== Entstehung des Begriffs ==
== Entstehung des Begriffs ==
Der Begriff „Kleinbürger“ scheint im 18. und 19. Jahrhundert entstanden zu sein. [[Johann Christoph Adelung|Adelungs]] Wörterbuch von 1811 kennt den Begriff nicht,<ref>[http://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/online/angebot ''Angebot'']</ref> erst das Deutsche Wörterbuch der [[Brüder Grimm]] und Nachfolger nennt ihn 1873 im elften Band.<ref>[http://woerterbuchnetz.de/DWB/ ''Deutsches Wörterbuch'']</ref> Der dortige erste Nachweis von 1783 lautet: ''in [[Königsberg (Preußen)|Königsberg]] heiszen die arbeiter so, im gegensatz der groszbürger''. Der [[Duden]] nennt als Herkunft: „ursprünglich (landschaftlich)= [[Arbeiter]]“. Das [[Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache|DWDS]] sieht die Herkunft 1830 bei [[Ludwig Börne|Börne]], zuvor im 18. Jahrhundert gelegentlich als „Arbeiter“.<ref>[http://www.dwds.de/?qu=Kleinb%C3%BCrger ''Kleinbürger''] in [[DWDS]], abgerufen am 22. Dezember 2014</ref>
Der Begriff „Kleinbürger“ scheint im 18. und 19. Jahrhundert entstanden zu sein. [[Johann Christoph Adelung|Adelungs]] Wörterbuch von 1811 kennt den Begriff nicht,<ref>[https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/online/angebot ''Angebot'']</ref> erst das ''[[Deutsches Wörterbuch|Deutsche Wörterbuch]]'' der [[Brüder Grimm]] und Nachfolger nennt ihn 1873.<ref>{{Deutsches Wörterbuch |Lemma=Kleinbürger |Band=11 |Sp= |lemid=}}</ref> Der dortige erste Nachweis von 1783 lautet: „in [[Königsberg (Preußen)|Königsberg]] heiszen die arbeiter so, im gegensatz der groszbürger“. Der [[Duden]] nennt als Herkunft: „ursprünglich (landschaftlich) = [[Arbeiter]]“. Das [[Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache|DWDS]] sieht die Herkunft 1830 bei [[Ludwig Börne]], zuvor im 18. Jahrhundert gelegentlich als „Arbeiter“.<ref>{{Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache |Stichwort=Kleinbürger |Abruf=2014-12-22}}</ref>


Diese nüchterne soziale Scheidung erhielt in der Folge eine negative, moralische Komponente: Während sich der oft international tätige Großkaufmann und [[Großbürger]] schon aufgrund seiner Geschäftsbeziehungen eine weltläufige Denk- und Lebensweise beimaß, benutzte er den Begriff „kleinbürgerlich“ für eine beschränkte, nur auf die eigene kleine Welt bezogene [[Weltanschauung|Weltsicht]] des Tiefergestellten. Offenbar war diese Begriffsverschlechterung eine Folge der Abwertung des älteren Begriffs ''[[Spießbürger]]''.
Diese nüchterne soziale Scheidung erhielt in der Folge eine negative, moralische Komponente: Während sich der oft international tätige Großkaufmann und [[Großbürger]] schon aufgrund seiner Geschäftsbeziehungen eine weltläufige Denk- und Lebensweise beimaß, benutzte er den Begriff „kleinbürgerlich“ für eine beschränkte, nur auf die eigene kleine Welt bezogene [[Weltanschauung|Weltsicht]] des Tiefergestellten. Offenbar war diese Begriffsverschlechterung eine Folge der Abwertung des älteren Begriffs ''[[Spießbürger]]''.


== Marxistische Begriffsverwendung ==
== Marxistische Begriffsverwendung ==
In der [[Marxismus-Leninismus|marxistisch-leninistischen]] [[Terminologie]] werden mit „Kleinbürger“ Nicht[[Proletariat|proletarier]] benannt, die sich ohne festen [[Klassenstandpunkt]] der gerade herrschenden [[Soziale Klasse#Die Klassentheorie im Marxismus|Klasse]] anpassen. Adjektivisch wird [[Ideologie|ideologisches]] Abweichen (auch von Proletariern) als „kleinbürgerlich“ bezeichnet.
In der [[Marxismus-Leninismus|marxistisch-leninistischen]] [[Terminologie]] werden mit „Kleinbürger“ Nicht[[Proletariat|proletarier]] benannt, die sich ohne festen [[Klassenstandpunkt]] der gerade herrschenden [[Soziale Klasse#Die Klassentheorie im Marxismus|Klasse]] anpassen. Adjektivisch wird [[Ideologie|ideologisches]] Abweichen (auch von Proletariern) als „kleinbürgerlich“ bezeichnet.


Kleinbürger stehen – ökonomisch sowie vom [[Marxismus]] her gesehen – zwischen dem [[Lohnarbeit]]er und dem [[Kapitalist]]en (vgl. auch [[Karl Marx|Marx]]’ ''[[Lohnarbeit und Kapital]]''). Mit dem [[Arbeitsentgelt#Alternative Theorien des Arbeitslohns und Kritik des Arbeitslohns|Lohn]]<nowiki/>arbeiter haben sie gemein, dass sie von der eigenen [[Arbeit (Volkswirtschaftslehre)#Geschichte|Arbeit]] leben müssen, mit dem Kapitalisten, dass sie dabei ihre eigenen [[Produktionsmittel]] benutzen und ihr [[Produkt (Wirtschaft)|Arbeitsprodukt]] als ihnen selbst gehörende [[Ware]] verkaufen. In der Mehrheit handelt es sich dabei um Einzel[[arbeiter]] – wodurch allerdings Abgrenzungsprobleme zum [[Bauernstand#Bauernschaft im Marxismus|Bauern]], namentlich (in [[Leninismus|leninistischer]] Terminologie) zum „Mittelbauern“ entstehen.
Kleinbürger stehen –&nbsp;ökonomisch sowie vom [[Marxismus]] her gesehen&nbsp;– zwischen dem [[Lohnarbeit]]er und dem [[Kapitalist]]en (vgl. auch [[Karl Marx|Marx]]’ ''[[Lohnarbeit und Kapital]]''). Mit dem [[Arbeitsentgelt#Alternative Theorien des Arbeitslohns und Kritik des Arbeitslohns|Lohn]]<nowiki />arbeiter haben sie gemein, dass sie von der eigenen [[Arbeit (Volkswirtschaftslehre)#Geschichte|Arbeit]] leben müssen, mit dem Kapitalisten, dass sie dabei ihre eigenen [[Produktionsmittel]] benutzen und ihr [[Produkt (Wirtschaft)|Arbeitsprodukt]] als ihnen selbst gehörende [[Ware]] verkaufen. In der Mehrheit handelt es sich dabei um Einzel[[arbeiter]] – wodurch allerdings Abgrenzungsprobleme zum [[Bauernstand#Bauernschaft im Marxismus|Bauern]], namentlich (in [[Leninismus|leninistischer]] Terminologie) zum „Mittelbauern“ entstehen.


Die Selbstabgrenzung der Kleinbürger gegenüber dem Proletariat sowie ihre fehlende Solidarisierung mit dessen [[Kommunismus|kommunistischen]] Bestrebungen brachte den Kleinbürgern dann zusätzlich zur Verachtung der Höhergestellten auch noch die Ablehnung kommunistischer [[Publizist]]en wie Marx und [[Max Horkheimer|Horkheimer]] ein – erschien ihnen dieses Sichabgrenzen doch als Hindernis einer [[Revolution]] in ihrem Sinne.
Die Selbstabgrenzung der Kleinbürger gegenüber dem Proletariat sowie ihre fehlende Solidarisierung mit dessen [[Kommunismus|kommunistischen]] Bestrebungen brachte den Kleinbürgern dann zusätzlich zur Verachtung der Höhergestellten auch noch die Ablehnung kommunistischer [[Publizist]]en wie Marx und [[Max Horkheimer|Horkheimer]] ein – erschien ihnen dieses Sichabgrenzen doch als Hindernis einer [[Revolution]] in ihrem Sinne.


In seinem [[Manifest der Kommunistischen Partei|Kommunistischen Manifest]] schrieb Karl Marx 1848:
In seinem [[Manifest der Kommunistischen Partei|Kommunistischen Manifest]] schrieb Karl Marx 1848:
{{Zitat
{{Zitat|''In Deutschland bildet das'' […] ''Kleinbürgertum die eigentliche Grundlage der bestehenden Zustände.''<ref>Karl Marx, [[Friedrich Engels]]: ''Manifest der Kommunistischen Partei.'' [[Marx-Engels-Werke|MEW]], S.&nbsp;64. [http://www.mlwerke.de/me/me04/me04_459.htm Volltext]</ref>}}
|Text=In Deutschland bildet das […] Kleinbürgertum die eigentliche Grundlage der bestehenden Zustände.
|ref=<ref>Karl Marx, [[Friedrich Engels]]: ''Manifest der Kommunistischen Partei.'' [[Marx-Engels-Werke|MEW]], S.&nbsp;64. [http://www.mlwerke.de/me/me04/me04_459.htm Volltext]</ref>}}


Max Horkheimer notierte um 1960:
[[Max Horkheimer]] notierte um 1960:
{{Zitat
{{Zitat|''Wir erleben es, daß die Klassen zerfallen'' […] ''Die Arbeiter in den [[Industriestaat]]en werden größtenteils miese Kleinbürger. Aber die Klassengegensätze bestehen weiter. Wie steht es mit der [[Ausbeutung#Marxistische Theorie|Ausbeutung]]? Die Tatsachen sprechen dafür, daß sie geringer geworden ist.''<ref>Max Horkheimer: ''Gesammelte Schriften.'' Bd.&nbsp;14. In: ''Nachgelassene Schriften 1949–1972.'' 5.&nbsp;Notizen. [[Gunzelin Schmid Noerr]] (Hrsg.), Frankfurt am Main 1988, S.&nbsp;327–328: ''Die Aktualität von Marx und die Rettung von Marx.'' S.&nbsp;328.</ref>}}
|Text=Wir erleben es, daß die Klassen zerfallen […] Die Arbeiter in den [[Industriestaat]]en werden größtenteils miese Kleinbürger. Aber die Klassengegensätze bestehen weiter. Wie steht es mit der [[Ausbeutung#Marxistische Theorie|Ausbeutung]]? Die Tatsachen sprechen dafür, daß sie geringer geworden ist.
|ref=<ref>Max Horkheimer: ''Gesammelte Schriften.'' Band&nbsp;14. In: ''Nachgelassene Schriften 1949–1972.'' 5.&nbsp;Notizen. [[Gunzelin Schmid Noerr]] (Hrsg.): ''Die Aktualität von Marx und die Rettung von Marx.'' Frankfurt am Main 1988, S.&nbsp;327–328.</ref>}}Ein paar Jahrzehnte später schreiben Metz/Seesslen, der [[Kapitalismuskritik|Kapitalismus]] vernichte mit der Abschaffung der [[Privilegien]] für das untere und mittlere Segment des Kleinbürgertums die sozialen Grundlagen der [[Demokratie]]. Das Kleinbürgertum als [[Subjekt]] der [[Geschichte]] könne auch „zur Gefahr für alles und jedes“ werden.<ref>[[Georg Seeßlen|Georg Seesslen]] und [[Markus Metz]]: ''Wir Kleinbürger 4.0''. Berlin 2021, S. 184; 260.</ref>


„Die Frage des Kleinbürgertums nimmt, wenn nicht eine zentrale Position, so doch einen wichtigen Platz in der Geschichte der kapitalistischen Gesellschaft und in der des Klassenkampfes ein.“<ref>Corrado Malandrino, Art. "Kleinbürgertum", in: [[Hans Jörg Sandkühler]] (Hg.): ''Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften'', [[Meiner Verlag]], Hbg. 1990.</ref>
== Siehe auch ==
* [[Bildungsbürgertum]]
* [[Sozialstruktur]]
* [[Soziologie]]
* [[Spießbürger]]

== Weblinks ==
{{Wiktionary}}
* [[Heinz Abels]]: [http://books.google.com/books?id=IXjYY-V33lwC&pg=PA307&lpg=PA307&dq=%22kleinen+Leute%22+Soziologie&source=bl&ots=EbQhsitZ-v&sig=nt5rVA3lPOHbuw96Dw3oU7Fcd64&hl=en&ei=cnQkTo3MJc3u-ga6wYWnAw&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=9&ved=0CEkQ6AEwCA#v=onepage&q&f=false ''Einführung in die Soziologie 2: Die Individuen in ihrer Gesellschaft''] (2009, Seite 310)


== Literatur ==
== Literatur ==
* Annette Leppert-Fögen: ''Die deklassierte Klasse. Studien zur Geschichte und Ideologie des Kleinbürgertums.'' Fischer, Frankfurt am Main 1974, ISBN 3-436-01945-3.
* Annette Leppert-Fögen: ''Die deklassierte Klasse. Studien zur Geschichte und Ideologie des Kleinbürgertums.'' Fischer, Frankfurt am Main 1974, ISBN 3-436-01945-3.
* Dirk Jung: ''Vom Kleinbürgertum zur deutschen Mittelschicht. Analyse einer Sozialmentalität.'' Die Mitte, Saarbrücken 1982, ISBN 3-921236-40-1.
* Dirk Jung: ''Vom Kleinbürgertum zur deutschen [[Mittelschicht]]. Analyse einer Sozialmentalität.'' Die Mitte, Saarbrücken 1982, ISBN 3-921236-40-1.
* Berthold Franke: ''Die Kleinbürger. Begriff, Ideologie, Politik.'' Campus, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-593-33908-0.
* Berthold Franke: ''Die Kleinbürger. Begriff, Ideologie, Politik.'' Campus, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-593-33908-0.
* [[Heinz-Gerhard Haupt]], Geoffrey Crossick: ''Die Kleinbürger. Eine europäische Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts.'' Beck, München 1998, ISBN 3-406-43258-1.
* [[Heinz-Gerhard Haupt]], Geoffrey Crossick: ''Die Kleinbürger. Eine europäische Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts.'' Beck, München 1998, ISBN 3-406-43258-1.
* Thomas Althaus (Hrsg.): ''Kleinbürger. Zur Kulturgeschichte des begrenzten Bewußtseins.'' Attempto, Tübingen 2001, ISBN 3-89308-323-5.
* Thomas Althaus (Hrsg.): ''Kleinbürger. Zur Kulturgeschichte des begrenzten Bewußtseins.'' Attempto, Tübingen 2001, ISBN 3-89308-323-5.
* [[Heinz Schilling (Kulturanthropologe)|Heinz Schilling]]: ''Kleinbürger. Mentalität und Lebensstil.'' Campus, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-593-37250-9.
* [[Heinz Schilling (Kulturanthropologe)|Heinz Schilling]]: ''Kleinbürger. Mentalität und Lebensstil.'' Campus, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-593-37250-9.
* Joska Pintschovius: ''Die Diktatur der Kleinbürger. Der lange Weg in die Mitte.'' Osburg, Berlin 2008, ISBN 3-940731-04-8.
* Joska Pintschovius: ''Die Diktatur der Kleinbürger. Der lange Weg in die Mitte.''<ref>[https://www.deutschlandfunkkultur.de/die-welt-der-spiesser.1270.de.html?dram:article_id=190943 Die Welt der Spießer] Buchrezension von [[Sylke Tempel]], [[Deutschlandfunk Kultur]] 6. Juli 2008</ref> Osburg, Berlin 2008, ISBN 3-940731-04-8.
* Hans Magnus Enzensberger: "Von der Unaufhaltsamkeit des Kleinbürgertums. Eine soziologische Grille", in Kursbuch 45, 1976, Rotbuch, Berlin (o.ISBN), S. 1–8
* [[Hans Magnus Enzensberger]]: ''Von der Unaufhaltsamkeit des Kleinbürgertums. Eine soziologische Grille''. In: ''[[Kursbuch (Zeitschrift)|Kursbuch]]'', 45, 1976, Rotbuch, Berlin, S. 1–8<!-- ohne ISBN -->
* [[Georg Seeßlen|Georg Seesslen]] und [[Markus Metz]]: ''Wir Kleinbürger 4.0'' - ''Die neue Koalition und ihre Gesellschaft''. [[Klaus Bittermann]] [[Edition Tiamat]] Berlin 2021, ISBN 978-3-89320-282-9<nowiki/> (= [[Critica Diabolis]] 299)

== Siehe auch ==
* [[Bildungsbürgertum]]
* [[Sozialstruktur]]
* [[Soziologie]]
* [[Klassismus]]
* [[Deutschnationalismus]]

== Weblinks ==
{{Wiktionary}}
* [[Heinz Abels]]: [http://books.google.com/books?id=IXjYY-V33lwC&pg=PA307&lpg=PA307&dq=%22kleinen+Leute%22+Soziologie&source=bl&ots=EbQhsitZ-v&sig=nt5rVA3lPOHbuw96Dw3oU7Fcd64&hl=en&ei=cnQkTo3MJc3u-ga6wYWnAw&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=9&ved=0CEkQ6AEwCA#v=onepage&q&f=false ''Einführung in die Soziologie 2: Die Individuen in ihrer Gesellschaft''] (2009, Seite 310)
* [https://taz.de/Klassenfragen-und-Macht/!5741909/ Abstieg des Kleinbürgertums]
* [[Kolumne]] von G. Seesslen in der [[taz]] zum [https://taz.de/Klassenfragen-und-Macht/!5741909/ Thema (2021)]


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
Zeile 48: Zeile 59:
[[Kategorie:Bürgertum]]
[[Kategorie:Bürgertum]]
[[Kategorie:Historischer Materialismus]]
[[Kategorie:Historischer Materialismus]]
[[Kategorie:Sozialstrukturelle Gruppe]]
[[Kategorie:Gesellschaftliche Schicht]]

Aktuelle Version vom 26. September 2024, 12:48 Uhr

Kleinbürgerhäuser in der Kieler Holstenstraße, etwa 1904

Kleinbürger hießen ursprünglich jene Angehörigen des Bürgertums, die dessen unterster Schicht angehörten, wie Handwerker, kleine Kaufleute, Volksschullehrer u. Ä. als Gegenbegriff zum Großbürgertum. Heute wird mit dem Begriff laut dem Duden ein „Angehöriger des unteren Mittelstandes“ oder abwertend ein „Spießbürger“ beschrieben.[1]

Entstehung des Begriffs

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Begriff „Kleinbürger“ scheint im 18. und 19. Jahrhundert entstanden zu sein. Adelungs Wörterbuch von 1811 kennt den Begriff nicht,[2] erst das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm und Nachfolger nennt ihn 1873.[3] Der dortige erste Nachweis von 1783 lautet: „in Königsberg heiszen die arbeiter so, im gegensatz der groszbürger“. Der Duden nennt als Herkunft: „ursprünglich (landschaftlich) = Arbeiter“. Das DWDS sieht die Herkunft 1830 bei Ludwig Börne, zuvor im 18. Jahrhundert gelegentlich als „Arbeiter“.[4]

Diese nüchterne soziale Scheidung erhielt in der Folge eine negative, moralische Komponente: Während sich der oft international tätige Großkaufmann und Großbürger schon aufgrund seiner Geschäftsbeziehungen eine weltläufige Denk- und Lebensweise beimaß, benutzte er den Begriff „kleinbürgerlich“ für eine beschränkte, nur auf die eigene kleine Welt bezogene Weltsicht des Tiefergestellten. Offenbar war diese Begriffsverschlechterung eine Folge der Abwertung des älteren Begriffs Spießbürger.

Marxistische Begriffsverwendung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der marxistisch-leninistischen Terminologie werden mit „Kleinbürger“ Nichtproletarier benannt, die sich ohne festen Klassenstandpunkt der gerade herrschenden Klasse anpassen. Adjektivisch wird ideologisches Abweichen (auch von Proletariern) als „kleinbürgerlich“ bezeichnet.

Kleinbürger stehen – ökonomisch sowie vom Marxismus her gesehen – zwischen dem Lohnarbeiter und dem Kapitalisten (vgl. auch MarxLohnarbeit und Kapital). Mit dem Lohnarbeiter haben sie gemein, dass sie von der eigenen Arbeit leben müssen, mit dem Kapitalisten, dass sie dabei ihre eigenen Produktionsmittel benutzen und ihr Arbeitsprodukt als ihnen selbst gehörende Ware verkaufen. In der Mehrheit handelt es sich dabei um Einzelarbeiter – wodurch allerdings Abgrenzungsprobleme zum Bauern, namentlich (in leninistischer Terminologie) zum „Mittelbauern“ entstehen.

Die Selbstabgrenzung der Kleinbürger gegenüber dem Proletariat sowie ihre fehlende Solidarisierung mit dessen kommunistischen Bestrebungen brachte den Kleinbürgern dann zusätzlich zur Verachtung der Höhergestellten auch noch die Ablehnung kommunistischer Publizisten wie Marx und Horkheimer ein – erschien ihnen dieses Sichabgrenzen doch als Hindernis einer Revolution in ihrem Sinne.

In seinem Kommunistischen Manifest schrieb Karl Marx 1848:

„In Deutschland bildet das […] Kleinbürgertum die eigentliche Grundlage der bestehenden Zustände.“[5]

Max Horkheimer notierte um 1960:

„Wir erleben es, daß die Klassen zerfallen […] Die Arbeiter in den Industriestaaten werden größtenteils miese Kleinbürger. Aber die Klassengegensätze bestehen weiter. Wie steht es mit der Ausbeutung? Die Tatsachen sprechen dafür, daß sie geringer geworden ist.“[6]

Ein paar Jahrzehnte später schreiben Metz/Seesslen, der Kapitalismus vernichte mit der Abschaffung der Privilegien für das untere und mittlere Segment des Kleinbürgertums die sozialen Grundlagen der Demokratie. Das Kleinbürgertum als Subjekt der Geschichte könne auch „zur Gefahr für alles und jedes“ werden.[7]

„Die Frage des Kleinbürgertums nimmt, wenn nicht eine zentrale Position, so doch einen wichtigen Platz in der Geschichte der kapitalistischen Gesellschaft und in der des Klassenkampfes ein.“[8]

Wiktionary: Kleinbürger – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Kleinbürger. duden.de, abgerufen am 22. Dezember 2014
  2. Angebot
  3. Kleinbürger. In: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Hrsg.): Deutsches Wörterbuch. Band 11: K – (V). S. Hirzel, Leipzig 1873 (woerterbuchnetz.de).
  4. Kleinbürger. In: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. Abgerufen am 22. Dezember 2014
  5. Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei. MEW, S. 64. Volltext
  6. Max Horkheimer: Gesammelte Schriften. Band 14. In: Nachgelassene Schriften 1949–1972. 5. Notizen. Gunzelin Schmid Noerr (Hrsg.): Die Aktualität von Marx und die Rettung von Marx. Frankfurt am Main 1988, S. 327–328.
  7. Georg Seesslen und Markus Metz: Wir Kleinbürger 4.0. Berlin 2021, S. 184; 260.
  8. Corrado Malandrino, Art. "Kleinbürgertum", in: Hans Jörg Sandkühler (Hg.): Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, Meiner Verlag, Hbg. 1990.
  9. Die Welt der Spießer Buchrezension von Sylke Tempel, Deutschlandfunk Kultur 6. Juli 2008