Der-tolle-Mensch-Nietzsche (2024 - 02 - 26 05 - 45 - 22 UTC)
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Der-tolle-Mensch-Nietzsche (2024 - 02 - 26 05 - 45 - 22 UTC)
F. Nietzsche (1844-1900)
Der Tod Gottes wird ausgerufen - Der Philosoph und Schriftsteller hat mit seiner
Rede vom "Tod Gottes" hat eine interessante Metapher für den Zustand von
Religion und Christentum geschaffen. Als leidenschaftlicher Kritiker des
Christentums will er eine Welt der Freiheit und der Selbstverwirklichung des
Menschen.
Biographie Nietzsches
Aufgabenstellungen
....
Der Tod Gottes wird ausgerufen
Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittag eine Laterne anzündete, auf
den Markt lief und unaufhörlich schrie: "Ich suche Gott! Ich suche Gott!"
Da dort gerade viele von denen zusammenstanden, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein
großes Gelächter.
Ist er denn verlorengegangen? sagte der eine. Hat er sich verlaufen wie ein Kind? sagte der andere.
Oder hält er sich versteckt? Fürchtet er sich vor uns? Ist er zu Schiff gegangen? ausgewandert? - so
schrien und lachten sie durcheinander.
Der tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blicken.
Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unsern Messern verblutet - wer
wischt dies Blut von uns ab?
Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen?
Welche Sühnefeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen?
Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns?
Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen?
Es gab nie eine größere Tat - und wer nun immer nach uns geboren wird, gehört um dieser Tat willen in
eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!"
Hier schwieg der tolle Mensch und sah wieder seine Zuhörer an: auch sie schwiegen und blickten
befremdet auf ihn. Endlich warf er seine Laterne auf den Boden, dass sie in Stücke sprang und erlosch.
"Ich komme zu früh", sagte er dann, "ich bin noch nicht an der Zeit.
Dies ungeheure Ereignis ist noch unterwegs und wandert - es ist noch nicht bis zu den Ohren der
Menschen gedrungen. Blitz und Donner brauchen Zeit, das Licht der Gestirne braucht Zeit, Taten
brauchen Zeit, auch nachdem sie getan sind, um gesehen und gehört zu werden. Diese Tat ist ihnen
immer noch ferner als die fernsten Gestirne - und doch haben sie dieselbe getan!" - Man erzählt noch,
dass der tolle Mensch desselbigen Tages in verschiedenen Kirchen eingedrungen sei und darin sein
Requiem aeternam deo angestimmt habe. Hinausgeführt und zur Rede gesetzt, habe er immer nur dies
entgegnet: "Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Gräber und die Grabmäler Gottes
sind?"
(Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, München 1959, S. 166 f)