Warum eigentlich anorak?
Tell your friends about Dub
Geschichte, Luftfahrt, Elektronische Musik, Linguistik, Homosexualität
Intoleranz und angemaßte Definitionshoheiten. Wissen und Wahrheit haben nichts mit Macht zu tun. Deswegen sollte das, was manche Leute für Wahrheit halten, nicht mit Hilfe von Machtspielchen "durchgedrückt" werden. Das Bewusstsein, wie falsch dieses Verhalten ist, ist in wikipedia leider zu schwach ausgebildet, eine Gegenkultur existiert kaum. Das Ergebnis ist, dass Artikel mit politisch, weltanschaulich oder religiös umstrittenen Themen selten lesbar sind, weil sie in Wirklichkeit "Schlachtfelder" von Glaubenskriegen sind. Das ist sehr schade. In anderen Netzkulturen läuft das besser.
Ich habe etwa Mitte 2005 begonnen, mich verstärkt für wikipedia zu interessieren. Der erste Eindruck war sehr positiv, und das überwiegt auch heute noch. Hier findet man zu vielen Themen sehr ausführliche Informationen, teilweise viel vertiefter und detaillierter als in manchen Fachwerken. Da jeder editieren kann, ist die Korrektheit zwar nicht garantiert, aber wenn der Leser das im Hinterkopf behält und die Informationen entsprechend kritisch filtert, kann man mit dem Problem umgehen. Irgendwann habe ich begonnen, selber kleine bis mittelgroße Ergänzungen zuzufügen, bei Themen wo ich mich auskenne und die mich interessieren (wie oben schon steht ist das ÖPNV, Berlin-Geschichte, Audiovisuelle Medien, verschiedene Musik-Themen usw.).
Dann hab ich (hauptsächlich außerhalb von wikipedia, z.B. im Usenet oder heise-Forum) Kritik an wikipedia gelesen. Manche Leute sind dort der Meinung, dass hier zuviel Unsinn stünde - was ich bei den Themenbereichen, wo ich das beurteilen konnte, nicht bestätigt fand. Ein anderer Kritikpunkt war, dass in wikipedia Meinungsmache betrieben werde. Damals hab ich das nicht für voll genommen, da mein "positives Vorurteil" gegenüber Internet-Foren verschiedener Art bisher war, dass kritische Geister überwiegen, und über allem ein Konsens der unbedingten und über allem stehenden Redefreiheit und Toleranz anderen Meinungen gegenüber herrsche.
Einige Zeit später bin ich dann über Artikel gestolpert, die einige umstrittenen politische Themen betreffen. Konkret waren das, kurz hintereinander, INSM, Neoliberalismus, Feminismus (im Dunstkreis auch Antifeminismus und Maskulismus), sowie Politische Korrektheit. Sehr verschiedene Themen, bei denen es kaum eine Überschneidung der "Fangemeinden" geben dürfte. Dennoch sind bei diesen Seiten sehr ähnliche Prozesse im Gange. Es gibt jeweils eine Community von Menschen, die die Aussagen dieser Texte gern in ihre politische Richtung drängen möchten. Diese kennen sich einerseits oft sehr gut mit dem Hintergrund dieser Bewegungen aus, andererseits sind sie darin aber auch sehr engagiert und haben eine dezidierte Meinung dazu. Oftmals ist ihnen die Einseitigkeit ihrer eigenen Position jedoch nicht bewusst, sondern halten sie zu Unrecht für neutral. Sie nehmen daher ihr "Auskennertum" als Vorwand, abweichende Bewertungen des Themas gar nicht oder nur in negativem Licht zu Wort kommen zu lassen.
Die Taktiken zur Durchsetzung dieser gefärbten Darstellungen sind vielfältig. Einerseits einfach Hineineditieren der eigenen, unterschwellig wertenden Formulierungen und Löschen von anderslautenden Wertungen. Das ist soweit sicher legitim, schwierig wird es allerdings wenn Kritik an diesen Formulierungen nicht zur Kenntnis genommen wird, obwohl die Einseitigkeit für jeden Außenstehenden offensichtlich ist. Es gibt aber darüberhinaus leider auch recht aggressive Methoden, die Kritik an der gefärbten Darstellung wegzugraulen. Das fängt an bei ad hominems gegen andere Benutzer, geht über hartnäckige Edit-Wars und endet bei Versuchen, administrative Mittel (Seitensperrung, Benutzersperrung) anzuwenden bzw. Administratoren dazu aufzufordern. Das ist inakzeptabel, und zwar sowohl im Sinne der Meinungsfreiheit (die von einigen Leuten tatsächlich unverblümt als nichtexistent dargestellt wurde, siehe meine eigene Diskussionsseite) als auch im Sinne eines guten Enzyklopädie-Ergebnisses.
Zu dieser Analyse bin ich erst gelangt, seitdem ich mich im Winter 2005/2006 an einigen der genannten Diskussionen beteiligt habe und die Praktiken dieser Meinungs-Communities selbst von Nahem beobachten konnte. Natürlich bin ich nicht die Neutralität in Person. Ich habe selbst eine Meinung zu all den genannten Themen und sage die auch deutlich - auf den Diskussionsseiten, wo sie hingehört und legitim ist. Allerdings möchte ich für mich in Anspruch nehmen, meine eigene Meinung als Meinung wahrzunehmen, und sie bei der Beschreibung dieser Thematiken auf der Artikel-Seite ausblenden zu können. Zumindest habe ich den Willen dazu. Sowohl der Wille als auch die Fähigkeit, die eigene Meinung herauszuhalten, fehlt aber bei einer großen Teilmenge der Nutzer, die auf den genannten Seiten aktiv sind. Bei einigen Seiten ist der Anteil der in diesem Stile arbeitenden Nutzer größer als 90%, mit erwartungsgemäß erbärmlichem Ergebnis für den resultierenden Text, und nebenbei einem großen Frust für alle, die versucht haben das zu verhindern.
Das ist ein Problem, und es gibt hier bisher keine Lösung dafür. Vielleicht kann es auch keine geben, weil Menschen mit starker politischer Überzeugung fast unvermeidlich intolerant handeln . Aber das hält mich nicht davon ab, das Problem zu beschreiben.
Beispiele, die mir auffielen:
- Negerfreund wurde gesperrt, weil sein Name das Wort "Neger" enthielt; hat sich sonst nichts zu Schulden kommen lassen.