Heinz Rühmann: "Pfeiffer mit drei f"
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Kultfilm Der (M)untergang
Januar 1944, in Europa tobt der Zweite Weltkrieg. In Italien drängen alliierte Truppen die deutsche Wehrmacht zurück, an der Ostfront holt Stalins Rote Armee zum großen Gegenschlag aus. Das Kriegsglück wendet sich erkennbar gegen Hitler - die Dampfwalze rollt jetzt auf Deutschland zu. Da taucht ein kleiner Mann mit fünf Kartons im Gepäck am Schlagbaum des "Führerhauptquartiers" in Ostpreußen auf. Sein Gesicht ist rundlich, um Mund und Augen hat er einen unauslöschbar spitzbübischen Zug.
Es ist der Schauspieler Heinz Rühmann, in den Kartons sind die Filmrollen seines neuen Werks "Die Feuerzangenbowle". Rühmann ist Produzent und Hauptdarsteller des Films in einer Person. An der Einfahrt der "Wolfsschanze" wartet ein Adjutant von Reichsmarschall Hermann Göring, der dem Starschauspieler den Film abnimmt und ihm eine Unterkunft in den Offiziersquartieren zuweist.
Wenige Stunden zuvor: Rühmann ist im Allgäu am Set seiner neuesten Komödie "Quax auf Fahrt", als er erfährt, dass Reichserziehungsminister Bernhard Rust die Freigabe der "Feuerzangenbowle" verhindert hat. Begründung: Durch den Krieg fehlten Lehrer an den Schulen. Die ordnungsgemäße Schulerziehung, so Rust, sei durch den Lehrermangel ohnehin schon erschwert. "Ein solcher Film würde die Autorität der Schule und der Lehrer geradezu gefährden." Nicht mit Rühmann. Der Schauspieler lässt seine Beziehungen spielen und besteigt einen Nachtzug nach Ostpreußen zum "Führer".
Zwei gespenstische Tage verbringt Rühmann in Hitlers Wolfsschanze, bis er Nachricht erhält. Der Reichsmarschall habe sich den Film im Kreise seines Stabes angesehen und mit dem "Führer" gesprochen. Der soll nur gefragt haben: "Ist dieser Film zum Lachen?" Und als Göring versicherte, dass er selbst mehrmals habe lachen müssen, erwiderte Hitler nur: "Dann ist dieser Film sofort für das deutsche Volk freizugeben."
Propagandaminister Joseph Goebbels wird angewiesen, die Komödie unverzüglich in die Kinos zu bringen. Am 25. Januar notierte er in sein Tagebuch: "Der neue Rühmann-Film 'Feuerzangenbowle' soll unbedingt aufgeführt werden. Der Führer gibt mir den Auftrag, mich nicht durch Einsprüche von Lehrerseite oder von Seiten des Erziehungsministeriums einschüchtern zu lassen." Nur drei Tage später feiert der Pennälerklamauk in Berlin Premiere.
Ein deutscher Kultfilm
Heute ist "Die Feuerzangenbowle" ein deutscher Kultfilm. Am 26. Dezember 1969 das erste Mal im deutschen Fernsehen gezeigt, erreicht er eine sensationelle Einschaltquote von 53 Prozent. 20 Millionen Deutsche sehen sich die Streiche des berühmten Berliner Schriftstellers Dr. Johannes Pfeiffer ("Mit drei F - ein F vor dem Ei, zwei F hinter dem Ei") an, der als Privatschüler in seiner Jugend nie die Vorzüge des Besuchs einer öffentlichen Lehranstalt erleben durfte und, verkleidet als Pennäler Hans, noch einmal die Schulbank drückt, um all die Lausejungenerlebnisse nachzuholen, die ihm entgangen sind.
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An Universitäten gilt der Klamaukstreifen noch immer als absoluter Studi-Kult. Jahr für Jahr finden sich in der Vorweihnachtszeit zehntausende Studenten in Hörsälen der ganzen Republik zusammen, um den Film zu sehen. Diese Vorführungen sind Event-Kino im "Rocky Horror"-Format: Zeigt Pfeiffer verkleidet als Professor Crey anhand eines Feuerwerks wie Radium im Dunkeln leuchtet, entzündet auch die Studentenschaft Wunderkerzen. Verschläft der Pauker Schnauz, weil Pfeiffer seine Uhren verstellt hat, klingeln im Auditorium die mitgebrachten Wecker. Wird im Chemieunterricht die Vergärung von Alkohol anhand von selbstgebrautem Heidelbeerwein behandelt ("Aber jähder nohr einen wähnzigen Schlock."), knallen im Publikum die Sektkorken. Und taucht der zackige Geschichtslehrer Dr. Brett auf, wird er als Nazi ausgebuht.
Auch Rühmann wird Zeit seines Lebens für seine Rolle in Nazi-Deutschland angefeindet. Denn während andere Filmschaffende wie Billy Wilder und Marlene Dietrich dem Reich längst den Rücken gekehrt haben, beginnt für Rühmann mit der Herrschaft Hitlers die Zeit seiner größten Erfolge. Zwar tritt der Schauspieler nie in die NSDAP ein, doch die Bedeutung von Unterhaltungsfilmen im "Dritten Reich" ist enorm.
In den Kriegsjahren steigt die Zahl der Kinobesucher sprunghaft: Werden 1939 bereits erstaunliche 624 Millionen Besucher gezählt, gehen 1940 schon 834 Millionen ins Kino. 1943 dann erreicht der Erfolg des Films seinen absoluten Höhepunkt. Insgesamt 1,116 Milliarden Zuschauer lösen im Jahr, in dem der Krieg mit Stalingrad seine Wende erlebt, eine Kinokarte. Während deutsche Städte im Bombenkrieg in Schutt und Asche gelegt werden, schöpfen die Zuschauer Hoffnung in der heilen Kinotraumwelt.
Fluglizenz gegen Propagandafilmrolle
Das verschlafene Städtchen Babenberg, in dem "Die Feuerzangenbowle" spielt, ist eine solche Oase. Es gibt keinen Fliegeralarm, keine Bombenkrater, keine Gestapo und keine Konzentrationslager. Stattdessen sonnenbeschienene Kleinstadtidylle und unschuldige Schülerstreiche. Doch Schule und Städtchen sind nur eine Illusion, aufgebaut in den Filmstudios Babelsberg bei Berlin.
Heinz Rühmann: "Pfeiffer mit drei f"
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Die Filmschaffenden im "Dritten Reich" leben in einer ähnlich trügerischen Idylle. "Der Arbeitsalltag in den großen Studios schottete sie vom normalen Leben ab", schreibt Rühmann-Biograf Torsten Körner. Sofern sie sich konform verhielten, seien Schauspieler von Goebbels, Göring und Hitler protegiert, ausgezeichnet und in jeder Beziehung unterstützt worden. Ihre Rolle als Unterhalter im "Dritten Reich" hätten die wenigsten reflektiert. Stattdessen, so Körner, hätten später viele mit geradezu bestürzender Naivität von der "guten, alten Zeit" gesprochen.
Rühmann selbst weiß die Beziehungen, die sich aus seiner Stellung als einer der vordersten Schauspieler in Deutschland ergeben, stets zu seinem persönlichen Vorteil zu nutzen. Nicht nur, dass er als "u.k." - unabkömmlich - während des gesamten Krieges vom Wehrdienst freigestellt wird. Über seine Beziehungen zu Nazi-Funktionären besorgt er sich sogar eine Fluglizenz, um auch in Kriegszeiten seiner Leidenschaft als Freizeitflieger nachzugehen.
Doch dem Schauspieler, der es sich in der NS-Diktatur so bequem macht, muss dabei bewusst sein, dass Gefallen wie dieser ihren Preis haben. So taucht Rühmann bald in der Wochenschau auf: In Fliegeruniform besteigt er dort ein Flugzeug, während eine martialische Stimme verkündet, dass auch der berühmte Heinz Rühmann als Kurierflieger seine Pflicht für Führer, Volk und Vaterland erfülle.
Ein Kurzfilm für den Propagandaminister
Zu den glühendsten Verehrern Rühmanns zählt Propagandachef Goebbels. Am 18. Dezember 1937 notiert er in sein Tagebuch, der Schauspieler sei ein "netter, witziger und charmanter Junge". 1940 dann dreht Rühmann einen Kurzfilm mit den Kindern des Hitler-Intimus - ein Geschenk zu Goebbels 43. Geburtstag. Der Beschenkte schreibt nicht ohne Stolz: "Gestern 43 Jahre alt. Wir schauen gemeinsam den Film an, den Heinz Rühmann mit den Kindern gedreht hat, zum Lachen und zum Weinen so schön."
Zwar sind diese Geburtstagskurzfilme eine Tradition, mit der das Propagandaministerium bereits seit 1935 jedes Jahr andere Filmschaffende beauftragt. Und sicher hat Rühmann keine besondere Freude an der Produktion dieses künstlerisch ganz und gar uninteressanten Streifens. Doch die Episode zeigt, dass es für einen Star im "Dritten Reich" unmöglich ist, sich nicht von den Nazis vereinnahmen zu lassen - ob nun zu Propagandazwecken oder zum Privatvergnügen der Machthaber.
War Rühmann also ein Nazi? Fest steht, dass die Herrschenden der "Dritten Reichs" ihn seinerzeit für ihre Zwecke einsetzten und er dies zuließ. Unstrittig ist auch, dass jeder Künstler, der quer schlug, ins Visier der NS-Diktatur geriet. Viele Schauspieler, Regisseure, Schriftsteller und Künstler, die nicht auf Linie produzieren, erhielten Arbeitsverbot, mussten emigrieren, landeten schlimmstenfalls im Konzentrationslager. Rühmann selbst, so betonte er es später stets, wollte immer nur Filme machen, die das Publikum erfreuen. Das tat er - vor den Nazis, während ihrer Herrschaft und danach noch bis in die neunziger Jahre hinein. 1993 spielte Rühmann, 91-jährig, seine letzte Rolle in Wim Wenders Film "In weiter Ferne, so nah!".
Gefallen vor dem Kinostart
Doch sein wohl berühmtestes Werk bleibt "Die Feuerzangenbowle". Die Uraufführung fand am 28. Januar 1944 in Berlin statt, in der Nacht zuvor hatten 1077 englische Bomber 3715 Tonnen Bomben auf Berlin abgeworfen. Einige der jungen Schauspieler, die Pfeiffers Klassenkameraden gespielt hatten, erlebten die Premiere nicht mehr - sie waren nach dem Dreh direkt an die Front geschickt worden und gefallen. Um das zu verhindern hatte Rühmann noch versucht, die Dreharbeiten möglichst lange hinauszuzögern. Vergeblich.
Vielleicht hat sich Rühmann damals wirklich manchmal gewünscht, noch einmal wie in der "Feuerzangenbowle" einfach ein Schüler zu sein, in einer heilen, überschaubaren Welt und frei von jeder Verantwortung.
Seinen glaubwürdigsten und wehmütigsten Moment jedenfalls hat der Schülerklamauk in seiner letzten Szene: Da entpuppt sich Pfeiffers Ausflug zurück in die Schulzeit als Traum. Rühmann, vom unschuldigen Pennäler Hans in den berühmten Schriftsteller Dr. Johannes Pfeiffer zurückverwandelt, sprich einen vieldeutigen Satz direkt in die Kamera: "Wahr sind nur die Erinnerungen, die wir in uns tragen, die Träume, die wir spinnen, und die Sehnsüchte, die uns treiben. Damit wollen wir uns bescheiden." Dann zoomt die Kamera in die lodernde Flamme der Feuerzangenbowle, Filmende. Draußen lodern derweil die Flammen über Berlin.