Begehrte Liberale Die FDP ist Westerwelle
Begehrte Liberale: Die SPD säuselte zuletzt kräftig, um Guido Westerwelle für eine Regierungsallianz zu gewinnen. Die Union drängte ungeduldig, damit die Freien Demokraten nicht aus der bürgerlichen Front ausscheren. Es scheint, als dürfte sich die FDP nach elf Jahren Opposition im Bund wieder auf Kabinettsposten freuen.
Darüber schüttelt weiterhin mancher Betrachter ungläubig den Kopf, da doch die neoliberalen Heilsversprechen vor exakt einem Jahr, als die weltweite Wirtschaftskrise begann, etliche Blessuren erlitten haben. Doch was heißt das schon?
Akzeptieren wir einmal die Annahme, dass wir zuvor eine etwa 30 Jahre währende Ära des neuliberalen Denkens in den Kernländern des Kapitalismus hatten. In einem solchen Zeitraum gibt es nicht nur bedauernswerte Verlierer, sondern eben auch ein Menge Gewinner der dominanten Gesellschaftsverfassung. Geht eine Epoche zu Ende, implodiert ein Regime, scheitert ein politisches oder soziales System - übrig bleiben immer auch die Nutznießer des Überkommenen, die sich dann sofort besonders eng um die politische Prätorianergarde der alten Herrschaftsideologie scharen. So konnte auch die FDP sich ab September des vergangenen Jahres zur Sammlungspartei der Profiteure von Deregulierungen, üppigen Kapitalerträgen und bindungsfreier Individualität emporschwingen.
Im Übrigen ist das von den Liberalen präferierte Wirtschaftssystem natürlich gar nicht zusammengebrochen. Die FDP musste sich nicht in die "Partei des demokratischen Kapitalismus" (PDK) umbenennen. Märkte, Wettbewerb, Renditen - nichts davon ist verschwunden, nicht einmal ernsthaft in Frage gestellt. Die Büßerhemden, die der eine oder andere Manager zwischenzeitlich in nett inszenierter Demut übergezogen hatte, hängen längst alle wieder weit hinten im Kleiderschrank.
Historischer Verweis dient als Legitimationsbrücke
Und so kann die FDP mit prallem Optimismus in die Zukunft schauen. Schwarz-Gelb, Ampel oder Jamaika - sie wären stets dabei, würden immer für die Mehrheitsbildung benötigt werden. Natürlich war es für die Anführer der Sozialdemokraten in den vergangenen Monaten nicht leicht, ihren Anhängern plausibel zu machen, dass die im Prinzip des kalten Neoliberalismus geziehene Westerwelle-FDP ab dem 27. September, 18 Uhr, als geschätzter Bündnispartner zu gelten hat. Als Legitimationsbrücke dafür diente der historische Verweis auf die in der Parteihistorie stets gern verklärten Jahre der Kanzlerschaft von Willy Brandt. Damals, so erzählen Müntefering und Steinmeier zuweilen, habe die Koalition aus SPD und FDP doch den Mief des vorangegangen CDU-Staats vertrieben und erstmals "mehr Demokratie" gewagt.
Ein wenig stört an dieser Reminiszenz, dass die FDP des Jahres 2009 eben nicht die FDP von 1972 ist. Damals hatte die Partei eine stattliche Zahl von profilierten Spitzenleuten zu bieten, von Scheel bis Genscher, von Friedrichs bis Lambsdorff, von Hildegard Hamm-Brücher bis Liselotte Funcke. Den strategischen Takt gab der damals wohl politisch klügste und begabteste Generalsekretär aller Parteien vor: Karl-Hermann Flach. Auch verfügte die Partei über die bis dahin kreativste Jugendorganisation: die Jungdemokraten, die von Ingrid Matthäus-Maier dirigiert wurde.
Und vor allem ragten die Freidemokraten dadurch hervor, dass sie etliche brillante Seiteneinsteiger und Intellektuelle anzog, ihnen auch im Unterschied zu den trägen und verschlossenen Apparatparteien in kurzer Zeit vorzügliche Wirkungsmöglichkeiten verschaffte. Man denke dabei nur an Ralf Dahrendorf oder Werner Maihofer. Seither hatte es sich gar ein wenig eingebürgert, den in Deutschland eher raren Typus des Seiteneinsteigers bevorzugt mit der Partei der Liberalen in Verbindung zu bringen.
Es dominiert der Parteiroutinier Westerwelle
Indes: Wo gibt es in der FDP heute noch diesen Typus des Seiteneinsteigers? In der FDP des Jahres 2009 dominiert allein der Parteiroutinier Westerwelle. Niemand sonst durfte in seiner eifersüchtig kontrollierten engeren Umgebung wachsen, gar brillieren. Ein politisch mittelmäßig interessierter Bürger einer mittleren Stadt in Deutschland würde im Café wohl prompt Jürgen Trittin, Claudia Roth, Cem Özdemir, Renate Künast erkennen, wenn diese überraschend dort ihren Latte Macchiato schlürfen sollten. Auch die Sozialdemokraten Steinbrück, Steinmeier, Müntefering, Beck, Gabriel, Wowereit wären schnell identifiziert, würde es sie in unsere Mittelstadt verschlagen. Das träfe ebenso auf die Christdemokraten Schäuble, von der Leyen, Wulff, Koch, Rüttgers zu, gewiss auch auf die Linken Gysi, Lafontaine, Ramelow oder Frau Wagenknecht.
Doch wer würde in unserem hypothetischen Café erstaunt aufblicken, wenn der hessische FDP-Chef und Landesminister Jörg-Uwe Hahn oder die Stellvertreterin Westerwelles in der Bundestagsfraktion, Birgit Homburger, selbst Hermann Otto Solms, immerhin sieben Jahre Fraktionschef der FDP und derzeit Vizepräsident des Deutschen Bundestages, plötzlich das Etablissement beträten. Mit Ausnahme von Westerwelle hat die FDP bundesweit kein rechtes Gesicht.
Mithin: Die FDP ist Westerwelle. Selten sonst in der Geschichte des Parlamentarismus und der Parteien hat sich ein Einzelner seine Partei in einem solchen Ausmaße untertan gemacht, auf sich selbst zu- und ausgerichtet. Das ist weder Helmut Kohl noch Konrad Adenauer, weder Herbert Wehner noch Kurt Schumacher gelungen. Mitunter hat es gar etwas Sektenhaftes, wie die FDP gerade auf den Bundesparteitagen ihrem Fahnenträger und Lautsprecher ganz oben zu Füßen liegt und ihm enthusiastisch zujubelt, wenn er ihnen, den Delegierten, mehr als eine Stunde lang im wahrsten Sinne des Wortes im Stakkato entgegenbrüllt.
Eine liberale Debattenkultur lässt sich nicht ausmachen
Diskursiv geht es in der Partei seit einiger Zeit schon nicht mehr zu. Ein liberales Parteimodell, eine liberale Debattenkultur lässt sich in der FDP des Jahres 2009, also dem zentralen Scharnier der Koalitionsbildung in Deutschland, nicht ausmachen. Bis heute fragt man sich, wie eine Partei des Liberalismus, des Bürgertums und der formal höheren Bildung Exzesse wie etwa die der Spaßpartei überhaupt hatte zulassen können. Der große bürgerliche Historiker und Publizist Joachim Fest hielt in seinen Auseinandersetzungen mit den 68ern immer an der Tugend der Skepsis, der Ernsthaftigkeit und des Maßes als Kernbestandteile von Bürgerlichkeit gegen jede Form der Überspanntheit fest. Folgt man Fest darin, dann lässt sich die FDP des gegenwärtigen Jahrzehnts schwerlich als bürgerliche Formation begreifen.
Nun mag eine eher elitäre Definition von angemessener Bürgerlichkeit für eine politische Partei tatsächlich nicht taugen. Westerwelle setzt auch weit mehr auf die besorgte Mittelschicht als auf das klassisch etablierte Bürgertum von ehedem. Und in diesen Mittelschichten ist das Missvergnügen über die Verhältnisse in der Republik erheblich gewachsen. Auf die Frage des Instituts Infratest dimap vor einigen Wochen, ob man meine, dass es in Deutschland eher gerecht oder eher ungerecht zugehe, antwortete die Hälfte der FDP-Anhänger: "Eher ungerecht". Die Sympathisanten von CDU/CSU, von SPD und erst recht der gut saturierten Grünen äußerten sich weit zufriedener mit den gesellschaftlichen Umständen in Deutschland.
Die neue FDP-Klientel hingegen erkennt sich in Büchern wieder wie: "Melkvieh Mittelschicht. Wie die Politik die Bürger plündert". Das ist das Elixier Westerwelles: Der Unmut in der Mitte, der sich schleichend und bislang leise mehr und mehr aufgeschichtet hat. Aber darin liegt auch die Labilität der neu-freidemokratischen Wählerschaft und jeder Regierungsbildung, erst recht mit Sozialdemokraten und Grünen: Sichere Kantonisten sind die frustrierten Wähler der beunruhigten Mittelschichten nicht. Werden ihre Erwartungen enttäuscht, dann wandern sie weiter. Man konnte in den vergangenen Jahren in den Niederlanden gut beobachten, wohin es dann gehen mag. Geert Wilders lässt grüßen.
Doch was wird in einem solchen Fall aus der FDP, in welcher der Liberalismus zusammengeschrumpft ist auf eine einzige Person und eine einzige politische Taktik?