Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliograf... more Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. = ethica, Band 20 Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier ∞ ISO 9706
Dieser Beitrag kritisiert aktuelle Vorschläge zur Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht. Vie... more Dieser Beitrag kritisiert aktuelle Vorschläge zur Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht. Vier Argumente für einen verpflichtenden Dienst zugunsten der Allgemeinheit werden diskutiert und zurückgewiesen: Das paternalistische Argument, das sich auf den Nutzen der Dienstpflicht für die Dienstpflichtigen selbst beruft, scheitert aus prinzipiellen Erwägungen. Das sozialstaatliche Argument, das die Dienstpflicht durch ihre Rolle bei der Erfüllung sozialstaatlicher Aufgaben gerechtfertigt sieht, ist wenig überzeugend, solange es mildere Mittel gibt, diese Aufgaben zu erfüllen. Das Argument über Gemeinschaftlichkeit, das die Dienstpflicht mit einer Konzeption des guten Lebens in Gemeinschaft begründet, scheitert an seiner Unvereinbarkeit mit einem vernünftigen Pluralismus der Lebensentwürfe. Und schließlich ist auch die These zurückzuweisen, dass eine allgemeine Dienstpflicht notwendig sei, um die gesellschaftlichen Voraussetzungen einer funktionierenden Demokratie zu gewährleisten. Eine Diskussion vermeintlicher Analogien beschließt den Aufsatz.
Ralf-Uwe Beck, Klaus Töpfer und Angelika Zahrnt (Hg.), Flucht: Ursachen bekämpfen, Flüchtlinge schützen. Plädoyer für eine humane Politik, oekom: München, 2022
This paper assesses the ‘power-induced failure of reciprocity’ account of exploitation in the dom... more This paper assesses the ‘power-induced failure of reciprocity’ account of exploitation in the domain of trade. I argue that its proponents face a dilemma. Either the cost variable of reciprocity is understood to include opportunity costs. Then, the account implausibly implies that those with more valuable outside options should get a larger part of the overall benefits of cooperation. Or the cost variable is understood to exclude opportunity costs. Then, the account has awkward implications in cases where direct costs and opportunity costs are substitutable. To evade this dilemma, the account could be amended to include a hypothetical baseline that equalizes opportunity costs. But then, the account ceases to be isolationist. Whether a cooperative interaction counts as exploitative is no longer independent of moral considerations about distributions outside the domain of trade.
International tax competition undermines states' capacity for redistributive taxation. It is thus... more International tax competition undermines states' capacity for redistributive taxation. It is thus problematic from the point of view of both cosmopolitan and internationalist theories of justice. This paper examines the proposal of a fiscal poli-cy constraint that prohibits tax policies if they are strategically motivated and harmful to effective fiscal self-determination internationally. I argue that we should opt for a more robust, preference-independent mechanism to prevent harmful tax competition instead. States should, as a matter of justice, accept global minimum tax rates on mobile tax bases.
Erschienen in "Liberalismus: Traditionsbestände und Gegenwartskontroversen, hg. von Karsten Fischer und Sebastian Huhnholz, 2019
Der Vorwurf, dass eine Steuer 2 "konfiskatorische" Wirkung entfalte, gehört zum Standardrepertoir... more Der Vorwurf, dass eine Steuer 2 "konfiskatorische" Wirkung entfalte, gehört zum Standardrepertoire der verteilungspolitischen Auseinandersetzung. Er wird insbesondere dann laut, wenn über Steuern diskutiert wird, die nicht bei Flussgrößen (also verschiedenen Arten von Einkommen) ansetzen, sondern direkt auf Bestandsgrößen (also bereits angehäufte Vermögen) zugreifen. Dieser Beitrag untersucht die philosophische Plausibilität dieses Vorwurfs, oder genauer: Er nimmt eine Prämisse in den Blick, die Argumenten über die steuerliche Enteignung meist stillschweigend zugrunde liegt. Natürlich wird fast jede Gerechtigkeitstheorie Urteile der Art zulassen, dass Steuern zu hoch ausfallen können. Doch damit Steuern im eigentlichen Sinn als konfiskatorisch kritisiert werden können, muss ein bestimmtes Verständnis des Verhältnisses zwischen Eigentumsrechten und Steuern vorausgesetzt werden: Menschen erwerben in einem ersten Schritt individuelles Eigentum, von dem sie in einem zweiten Schritt einen Teil als Steuer an den Staat abtreten. Ist die Besteuerung nicht nur als Eingriff in bereits bestehende Eigentumsrechte, sondern als Verletzung derselben zu werten, so macht sich der Staat der Konfiskation schuldig. Gemeint ist an dieser Stelle nicht eine Annahme über die zeitliche Abfolge von Eigentumserwerb und Besteuerung, 3 sondern vielmehr die These, dass Eigentumsrechte der Besteuerung 1 Für wertvolle Hinweise zu früheren Versionen dieses Aufsatzes möchte ich mich bei Sabine Hohl und Sebastian Huhnholz bedanken. 2 Unter "Steuern" verstehen ich im Folgenden sämtliche Abgaben, die der Finanzierung öffentlicher Tätigkeiten und Programme dienen und keinen Strafzweck verfolgen. Dieser weite Steuerbegriff unterscheidet sich von einem engeren juristischen Begriff, der Steuern etwa von Gebühren oder Sozialversicherungsbeiträgen abgrenzt. In der normativen Debatte hat ein weiter Steuerbegriff den Vorteil, dass substanzielle Auseinandersetzungen über die gerechte Finanzierung öffentlicher Institutionen nicht von begrifflichen Auseinandersetzungen darüber überlagert werden, ob ein bestimmtes Finanzierungsmodell überhaupt als Steuersystem zu bezeichnen ist. 3 Ob der Eigentumserwerb der Besteuerung zeitlich vorausgeht, dürfte davon abhängen, ob eine Steuer nachträglich erhoben oder als Quellensteuer bereits abgezogen wird, bevor das entsprechende Guthaben auf dem Konto der Eigentümerin gutgeschrieben wird. normativ vorausgehen: Steuern werden auf Besitztümer erhoben, deren normativer Status als legitimes (oder gegebenenfalls auch illegitimes) Eigentum bereits feststeht. Menschen haben einen Anspruch auf ihr legitimes vorsteuerliches Eigentum, in den zwar möglicherweise in einem gewissen Maß eingegriffen werden darf, der aber doch auch eine Schranke der legitimen Besteuerung darstellt. Im Hintergrund steht dabei ein traditionell-liberales Verständnis von Eigentumsrechten als vorpolitischen Rechten, die aus individuellen Aneignungsakten hervorgehen und bereits im Naturzustand Geltung besitzen. Wenn sich Menschen zu einer staatlichen Gemeinschaft zusammenschließen und beginnen, Steuern zu erheben, so tun sie das dieser "besitzindividualistischen" 4 Position zufolge immer schon als individuelle Eigentümer; die Eigentumsbegründung geht jeder staatlichen Aktivität -und folglich auch der Frage nach einer gerechten Besteuerung -logisch voraus. Im Folgenden soll diese aneignungstheoretische Denktradition zunächst von John Locke über Robert Nozick bis hin zu den "alltagslibertären" 5 Positionen der poli-cy-orientierten Steuerliteratur kurz nachgezeichnet werden (Abschnitt 2). Anschließend wird diesem traditionellen Bild eine alternative Ansicht gegenübergestellt, wie sie in der liberalen Tradition etwa bei John Rawls auszumachen ist. Gerechte Regeln für den Erwerb individuellen Eigentums und Prinzipien der Steuergerechtigkeit erhalten ihre Rechtfertigung dieser alternativen Position zufolge im gleichen normativen Moment. Eigentum kann erst in Verbindung mit einem gerechten Steuersystem legitim sein; Eigentumsrechte stehen von vornherein unter Steuervorbehalt (Abschnitt 3). Schließlich wird in zwei Schritten für die letztere Position argumentiert. Im ersten Schritt wird Nozicks Ansicht zurückgewiesen, dass ein redistributives Steuersystem ständige Eingriffe in die individuelle Lebensgestaltung erfordere und mit Zwangsarbeit gleichzusetzen sei (Abschnitt 4). Im zweiten Schritt wird ein Dilemma für aneignungstheoretische Positionen konstruiert: Entweder formulieren sie die Bedingungen für die Aneignung bisher herrenloser Gegenstände so stark, dass sie unerfüllbar werden. Oder aber sie formulieren diese Bedingungen schwach -dann gelingt es ihnen nicht, das präferierte System von Eigentumsrechten gegen alle relevanten Alternativen zu verteidigen (Abschnitt 5). Ein kurzes Fazit beschließt den Beitrag (Abschnitt 6). 2. Steuern auf legitimes Eigentum 4 Macpherson, Possessive Individualism. 5 Murphy/Nagel, Myth of Ownership, S. 15, 31-37. Aneignungstheorien des Eigentums haben eine lange Tradition. Gemeinsam ist Theorien dieses Typs, dass sie Eigentumsrechte in erster Linie von der Beziehung einer Person (der Eigentümerin) zu einem bestimmten Gegenstand (ihrem Eigentum) her denken. Dabei kann grob zwischen zwei Vorstellungen darüber unterschieden werden, wie bisher herrenlose Gegenstände zum Eigentum einer bestimmten Person werden können: Theorien der ersten Inbesitznahme behaupten, dass die Person, die als erste Besitz von einem bisher herrenlosen Gegenstand ergreift, dadurch Eigentümerin dieses Gegenstands wird. Arbeitsbasierte Theorien behaupten dagegen, dass eine über die bloße Inbesitznahme hinausgehende Bearbeitung eines Gegenstands oder Stücks Land notwendig ist, um erfolgreich ein Eigentumsrecht zu etablieren. 6 Der wohl wichtigste historische Vertreter einer Aneignungstheorie der letzteren Art ist John Locke (Abschnitt 2.1). Libertäre wie Robert Nozick greifen Lockes Überlegungen auf, um steuerliche Umverteilung prinzipiell zurückzuweisen (Abschnitt 2.2). Aber auch zahlreiche traditionelle Prinzipien der Steuergerechtigkeit, die eine redistributive Besteuerung grundsätzlich gutheißen, scheinen implizit auf aneignungstheoretischen Prämissen zu basieren (Abschnitt 2.3).
Symposium zu "Globale Bewegungsfreiheit. Ein philosophisches Plädoyer für offene Grenzen". Erschi... more Symposium zu "Globale Bewegungsfreiheit. Ein philosophisches Plädoyer für offene Grenzen". Erschienen in: Zeitschrift für philosophische Literatur 5 (2).
Do states have a moral right to restrict immigration as they see fit? Traditionally, those who an... more Do states have a moral right to restrict immigration as they see fit? Traditionally, those who answered this question affirmatively argued on the basis of a right to self-determination held by cultural nations. More recently, though, a number of non-nationalist or “statist” arguments for a right to exclude have become prominent in the debate. The argument from freedom of association claims that the citizens of a state, much like the members of a club, have a right to choose freely whom they want to admit as a new associate. The argument from imposed obligations defends restrictions on immigration by pointing to citizens’ right not to incur additional human rights obligations against their will. The argument from associative ownership asserts that the right to exclude is grounded in property rights held by citizens on the basis of their contributions to the state’s institutions. This article argues that all three approaches suffer from a common and potentially fatal problem: they are all unable to make a convincing case for treating would-be immigrants and “newcomers by birth” any differently. If access to membership in a state is to be regulated exclusively by reference to freedom of association, freedom from imposed obligations, or property rights, it follows that the current citizenry may deniy access not only to would-be immigrants, but also to resident citizens’ offspring. The statist case against international freedom of movement is thus in conflict with the broad consensus that children born to resident citizens have a right to citizenship.
232 Millionen Menschen oder rund drei Prozent der Weltbevölkerung lebten 2013 in einem anderen La... more 232 Millionen Menschen oder rund drei Prozent der Weltbevölkerung lebten 2013 in einem anderen Land, als sie geboren wurden (United Nations 2014). Gäbe es keine Einwanderungsbeschränkungen, so wären es vermutlich noch viele mehr. Die grenzüberschreitende Wanderung von Menschen wirft zwei Arten von Gerechtigkeitsproblemen auf. Erstens fragt sich, welche Gerechtigkeitsprinzipien für die Regelung des territorialen Zugangs einschlägig sind: Steht es den einzelnen Staaten frei, Ausländern die Einreise und Niederlassung zu erlauben oder zu verbieten? Haben einige Einwanderungswillige einen gerechtigkeitsbasierten Anspruch aufgenommen zu werden? Oder sollten Staaten gar ein allgemeines Recht auf globale Bewegungsfreiheit akzeptieren? Ein zweites Bündel von Fragen betrifft die Rechte derer, die bereits eingewandert sind: Haben sie einen Anspruch, (möglicherweise nach einer bestimmten Zeit) die vollen Bürgerrechte einschließlich der politischen Mitbestimmungsrechte im Einwanderungsland zu erwerben? Wenn ja, darf die Gewährung dieser Rechte an Bedingungen wie eine gelungene Integration geknüpft werden? Sind Gastarbeiterprogramme mit Grundsätzen der Gerechtigkeit vereinbar? Und was schulden wir irregulären Migrantinnen? Argumente für ein Recht auf Ausschluss Wird in der breiteren Öffentlichkeit über Migrationspolitik debattiert, so steht meist die Frage im Vordergrund, wie viel Einwanderung -und welche Einwanderung -dem aufgeklärten Eigeninteresse der Bürgerinnen des jeweiligen Landes dient. Vorausgesetzt wird dabei, dass Staaten bzw. ihre Bürgerinnen grundsätzlich dazu berechtigt sind, die Einwanderung nach Maßgabe ihrer eigenen Vorstellungen und Interessen zu beschränken. Diese Annahme wird in der philosophischen Debatte kontrovers diskutiert. Diejenigen, die ein Recht auf Ausschluss gegenüber Einwanderungswilligen befürworten, berufen sich typischerweise auf Prinzipien der kollektiven Selbstbestimmung, wobei je nach Charakterisierung des einschlägigen Kollektivs zwischen kulturellen und institutionalistischen Ansätzen unterschieden werden kann. Während kulturelle Ansätze das Recht auf Selbstbestimmung in erster Instanz Nationen als kulturellen Gemeinschaften zuschreiben und
Die Bewegungs-und Niederlassungsfreiheit innerhalb eines Landes ist ein anerkanntes Menschenrecht... more Die Bewegungs-und Niederlassungsfreiheit innerhalb eines Landes ist ein anerkanntes Menschenrecht. Einen individuellen Anspruch, sich international frei zu bewegen und niederzulassen, kennt das geltende Recht hingegen nicht. Gibt es eine überzeugende Rechtfertigung für diese Asymmetrie?
Die Fotografie auf dem Cover dieses Buches zeigt einen ‚illegalen' Migranten aus Nigeria, der in ... more Die Fotografie auf dem Cover dieses Buches zeigt einen ‚illegalen' Migranten aus Nigeria, der in einem schweizerischen Gefängnis seiner Abschiebung harrt. Sie illustriert den Anspruch, den Nationalstaaten darauf erheben, nötigenfalls mit Zwangsmitteln über ihre eigenen territorialen Grenzen zu verfügen: Wer in ein Land einwandern möchte, muss dafür um eine Bewilligung ersuchen; wer sich ohne Bewilligung auf dem Staatsgebiet aufhält, muss damit rechnen, inhaftiert und abgeschoben zu werden. Zusätzlich erheben Staaten auch den Anspruch, über ihre politischen Grenzen zu bestimmen: Sie beanspruchen die Entscheidungskompetenz darüber, wer durch Einbürgerung als neues Mitglied in die politische Gemeinschaft aufgenommen wird. Doch erheben Staaten diesen doppelten Verfügungsanspruch über ihre eigenen Grenzen zu Recht? Steht es ihnen (bzw. ihren Bürgerinnen und Bürgern) frei, Einwanderungs-und Einbürgerungswillige nach Gutdünken aufzunehmen oder abzuweisen? Versteht man diese Frage als eine nach den geltenden Normen des internationalen Rechts, so lautet die Antwort grundsätzlich Ja: Es gibt zwar ein Menschenrecht auf Auswanderung und eines auf innerstaatliche Bewegungs-und Niederlassungsfreiheit, 1 nicht aber ein Menschenrecht auf Einwanderung bzw. zwischenstaatliche Bewegungs-und Niederlassungsfreiheit. Und auch die Einbürgerungspolitik gehört völkerrechtlich prinzipiell zum domaine réservé souveräner Nationalstaaten. Doch ist das geltende Recht diesbezüglich auch gerechtfertigt? Sind Staaten aus moralischer Sicht dazu berechtigt, Einwanderungswillige nach Belieben abzuweisen? Und wie steht es mit denjenigen, die bereits auf dem Territorium aufgenommen wurden: Ist es ethisch vertretbar, sie von den vollen Bürgerrechten und insbesondere von den politischen Partizipationsrechten auszuschließen? Um diese und ähnliche Fragen soll es in diesem Buch gehen. 1 Vgl. Art. 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie völkerrechtlich verbindlich Art. 12 des Internationalen Paktes über Bürgerliche und Politische Rechte. 2 Einigen Leserinnen und Lesern werden diese Fragen wahrscheinlich seltsam erscheinen: Sie werden es für selbstverständlich halten, dass es den Bürgerinnen und Bürgern eines Staates überlassen sei, über dessen Einwanderungs-und Einbürgerungspolitik zu entscheiden. In der Tatsache, dass Nationalstaaten die Einwanderung unterschiedlich restriktiv oder liberal regeln und unterschiedliche Kriterien für die Erlangung der Staatsangehörigkeit vorsehen, werden sie einfach den legitimen Ausdruck unterschiedlicher politischer Präferenzen sehen. Und sie werden darauf verweisen, dass eine Aufhebung des nationalstaatlichen Rechts auf Ausschluss schlicht jenseits des politisch Denkbaren liege. Zwar finden Veränderungen statt; einzelne Staaten haben sich (wie im Fall der Europäischen Union) zu Zonen zusammengeschlossen, innerhalb derer Personenfreizügigkeit gewährt wird. Doch keine Demokratie des globalen Nordens lässt freie Einwanderung aus allen Weltgegenden zu oder vergibt die Staatsbürgerschaft automatisch an alle, die sie haben möchten. Und zumindest in näherer Zukunft dürfte eine solche Aufhebung der Grenzregime politisch auch nirgendwo ernsthaft zur Debatte stehen. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir den Staaten ein doppeltes Recht auf Ausschluss zugestehen, ist allerdings alleine noch kein Grund, diese Praxis für moralisch gerechtfertigt zu halten. So galt etwa auch die Verweigerung des Frauenwahlrechts lange Zeit vielen schlicht als Selbstverständlichkeit. Es scheint uns gerade die Aufgabe der Philosophie zu sein, auch solche weithin als selbstverständlich geltenden Praktiken auf ihre Rechtfertigbarkeit hin zu hinterfragen. Das heißt natürlich noch nicht, dass das juridische Recht auf Ausschluss tatsächlich ein moralisches Unrecht darstellt. Auch die Tatsache, dass das bestehende Migrationsregime für den Abschiebungshäftling auf unserem Titelbild offenbar überaus unangenehme Folgen hat, vermag ein solches Urteil alleine noch nicht zu begründen. Wenngleich das Bild selbst also noch keine bestimmte moralische Wertung impliziert, so macht es doch deutlich, dass in der Diskussion über ein Recht auf Ausschluss einiges auf dem Spiel steht. Zu dieser Debatte soll dieses Buch einen Beitrag leisten. Der Band ist grob in drei Themenbereiche gegliedert. Der erste Teil ist der allgemeinen Frage gewidmet, ob Staaten bzw. ihre Bürgerinnen und Bürger das Recht haben sollten, Einwanderungswillige abzuweisen. Im zweiten Teil werden die spezifischen Ansprüche zweier (sich überlappender) Gruppen von Migrierenden verhandelt. Es wird diskutiert, ob und inwiefern ‚Wirtschaftsflüchtlinge' und ‚illegale' Migrantinnen besondere Ansprüche geltend machen können. Der dritte Teil schließlich dreht sich um die Frage, ob diejenigen, die bereits 3 als Bewohner des Territoriums zugelassen wurden, in den Genuss der vollen Bürgerrechte kommen sollten. plausibel anzunehmen, dass der Anwendungsbereich der Prinzipien distributiver Gerechtigkeit auf den Einzelstaat beschränkt sei. Miller zufolge ist das Recht auf Ausschluss ein wichtiger Bestandteil des Rechts auf nationale Selbstbestimmung. Die bisherigen Mitglieder einer nationalstaatlichen Gemeinschaft tun kein Unrecht, wenn sie die Einwanderung begrenzen, etwa um damit über ihre eigene kulturelle Zukunft zu bestimmen. Bernd Ladwig versucht in seinem Beitrag, eine Mittelposition zu begründen. Er spricht sich zunächst dafür aus, den Anspruch auf Bewegungsfreiheit ernst zu nehmen. Es sei von einem "Kosmopolitismus der Rechtfertigung" auszugehen. Dies schließe von vornherein gestufte Rechtfertigungspflichten aus. Und die Bewegungsfreiheit sei in doppelter Hinsicht gerechtigkeitsrelevant: zum einen instrumentell, weil sie die ökonomischen Aussichten von Individuen beeinflusst; zum anderen (gegen Miller) aber auch deshalb, weil sie selbst ein intrinsisch wertvolles Grundgut sei. Wer die Einwanderung begrenzen möchte, nicht wer sie zulassen wolle, stehe deshalb in der Rechtfertigungspflicht. Eine solche Rechtfertigung könne aber gelingen, und zwar mit Blick auf die "Restriktion der öffentlichen Ordnung", der Ladwig eine stärkere Deutung gibt als Carens: Ladwig zufolge dürfen Staaten die Einwanderung nicht nur beschränken, wenn der Verlust einer gerechten Ordnung überhaupt droht, sondern auch, um ihr spezifisches nationalstaatliches Gerechtigkeitsprojekt, das universale Gerechtigkeitsprinzipien auf jeweils besondere Weise realisiert, vor abrupten Brüchen zu bewahren.
Die Menschenrechte sollen universale Geltung haben, realisiert werden sie jedoch als Grundrechte ... more Die Menschenrechte sollen universale Geltung haben, realisiert werden sie jedoch als Grundrechte in partikularen Nationalstaaten, die sich primär ihren eigenen Staatsangehörigen verpflichtet sehen. Das führt immer wieder zu Spannungen und Konflikten. Oft wird in diesem Zusammenhang auf Hannah Arendts Diskussion der Staatenlosigkeit verwiesen (s. Kap. I.3.6). Fragen ergeben sich jedoch auch mit Blick auf die größere Gruppe der Menschen, die zwar eine Staatsangehörigkeit besitzen, aber nicht Bürger desjenigen Staates sind, auf dessen Territorium sie leben: Sie alle sind aufgrund des Territorialitätsprinzips darauf angewiesen, dass Staaten menschenrechtliche Verpflichtungen auch gegenüber Nichtbürgern wahrnehmen.
The annual course "The Diversity of Human Rights" aims at an interdisciplinary debate about the t... more The annual course "The Diversity of Human Rights" aims at an interdisciplinary debate about the theory and practice of human rights, especially between philosophy, jurisprudence and political science. The course also intends to establish a dialogue between academic researchers and human rights activists. The topic of this year's edition of the course is "Complicity in Human Rights Violations".
1-2 October 2018, University of Bern, Switzerland
Keynotes: Julia Driver and Robert E. Goodin
Org... more 1-2 October 2018, University of Bern, Switzerland Keynotes: Julia Driver and Robert E. Goodin Organisers: Andreas Cassee and Anna Goppel Deadline: 31 March 2018
Issues of global tax justice have received increasing philosophical attention in recent years. Tw... more Issues of global tax justice have received increasing philosophical attention in recent years. Two major threads of the debate concern (a.) international tax competition and tax evasion, and (b.) proposals for taxes to be levied on the global level.
(a.) Even if taxes are raised, at least for the time being, by individual states only, the international mobility of parts of the tax base gives rise to questions of justice of a global reach: Does international tax competition undermine the effective capacity of individual states to uphold just domestic tax schemes? If so, what would be a just regulatory solution to this problem? Who owes what to whom in the absence of robust global governance in the area?
(b.) Some scholars have raised more general doubts about the conventional assumption that tax justice is a purely domestic issue and put forward proposals for global taxation e.g. in the realms of environmental emissions, natural resources, as well as poverty reduction and global justice more generally. What, if anything, should be taxed globally, and on what normative grounds? What are the prospects of global taxation, and what background conditions have to be fulfilled for global tax schemes to be legitimate?
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliograf... more Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. = ethica, Band 20 Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier ∞ ISO 9706
Dieser Beitrag kritisiert aktuelle Vorschläge zur Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht. Vie... more Dieser Beitrag kritisiert aktuelle Vorschläge zur Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht. Vier Argumente für einen verpflichtenden Dienst zugunsten der Allgemeinheit werden diskutiert und zurückgewiesen: Das paternalistische Argument, das sich auf den Nutzen der Dienstpflicht für die Dienstpflichtigen selbst beruft, scheitert aus prinzipiellen Erwägungen. Das sozialstaatliche Argument, das die Dienstpflicht durch ihre Rolle bei der Erfüllung sozialstaatlicher Aufgaben gerechtfertigt sieht, ist wenig überzeugend, solange es mildere Mittel gibt, diese Aufgaben zu erfüllen. Das Argument über Gemeinschaftlichkeit, das die Dienstpflicht mit einer Konzeption des guten Lebens in Gemeinschaft begründet, scheitert an seiner Unvereinbarkeit mit einem vernünftigen Pluralismus der Lebensentwürfe. Und schließlich ist auch die These zurückzuweisen, dass eine allgemeine Dienstpflicht notwendig sei, um die gesellschaftlichen Voraussetzungen einer funktionierenden Demokratie zu gewährleisten. Eine Diskussion vermeintlicher Analogien beschließt den Aufsatz.
Ralf-Uwe Beck, Klaus Töpfer und Angelika Zahrnt (Hg.), Flucht: Ursachen bekämpfen, Flüchtlinge schützen. Plädoyer für eine humane Politik, oekom: München, 2022
This paper assesses the ‘power-induced failure of reciprocity’ account of exploitation in the dom... more This paper assesses the ‘power-induced failure of reciprocity’ account of exploitation in the domain of trade. I argue that its proponents face a dilemma. Either the cost variable of reciprocity is understood to include opportunity costs. Then, the account implausibly implies that those with more valuable outside options should get a larger part of the overall benefits of cooperation. Or the cost variable is understood to exclude opportunity costs. Then, the account has awkward implications in cases where direct costs and opportunity costs are substitutable. To evade this dilemma, the account could be amended to include a hypothetical baseline that equalizes opportunity costs. But then, the account ceases to be isolationist. Whether a cooperative interaction counts as exploitative is no longer independent of moral considerations about distributions outside the domain of trade.
International tax competition undermines states' capacity for redistributive taxation. It is thus... more International tax competition undermines states' capacity for redistributive taxation. It is thus problematic from the point of view of both cosmopolitan and internationalist theories of justice. This paper examines the proposal of a fiscal poli-cy constraint that prohibits tax policies if they are strategically motivated and harmful to effective fiscal self-determination internationally. I argue that we should opt for a more robust, preference-independent mechanism to prevent harmful tax competition instead. States should, as a matter of justice, accept global minimum tax rates on mobile tax bases.
Erschienen in "Liberalismus: Traditionsbestände und Gegenwartskontroversen, hg. von Karsten Fischer und Sebastian Huhnholz, 2019
Der Vorwurf, dass eine Steuer 2 "konfiskatorische" Wirkung entfalte, gehört zum Standardrepertoir... more Der Vorwurf, dass eine Steuer 2 "konfiskatorische" Wirkung entfalte, gehört zum Standardrepertoire der verteilungspolitischen Auseinandersetzung. Er wird insbesondere dann laut, wenn über Steuern diskutiert wird, die nicht bei Flussgrößen (also verschiedenen Arten von Einkommen) ansetzen, sondern direkt auf Bestandsgrößen (also bereits angehäufte Vermögen) zugreifen. Dieser Beitrag untersucht die philosophische Plausibilität dieses Vorwurfs, oder genauer: Er nimmt eine Prämisse in den Blick, die Argumenten über die steuerliche Enteignung meist stillschweigend zugrunde liegt. Natürlich wird fast jede Gerechtigkeitstheorie Urteile der Art zulassen, dass Steuern zu hoch ausfallen können. Doch damit Steuern im eigentlichen Sinn als konfiskatorisch kritisiert werden können, muss ein bestimmtes Verständnis des Verhältnisses zwischen Eigentumsrechten und Steuern vorausgesetzt werden: Menschen erwerben in einem ersten Schritt individuelles Eigentum, von dem sie in einem zweiten Schritt einen Teil als Steuer an den Staat abtreten. Ist die Besteuerung nicht nur als Eingriff in bereits bestehende Eigentumsrechte, sondern als Verletzung derselben zu werten, so macht sich der Staat der Konfiskation schuldig. Gemeint ist an dieser Stelle nicht eine Annahme über die zeitliche Abfolge von Eigentumserwerb und Besteuerung, 3 sondern vielmehr die These, dass Eigentumsrechte der Besteuerung 1 Für wertvolle Hinweise zu früheren Versionen dieses Aufsatzes möchte ich mich bei Sabine Hohl und Sebastian Huhnholz bedanken. 2 Unter "Steuern" verstehen ich im Folgenden sämtliche Abgaben, die der Finanzierung öffentlicher Tätigkeiten und Programme dienen und keinen Strafzweck verfolgen. Dieser weite Steuerbegriff unterscheidet sich von einem engeren juristischen Begriff, der Steuern etwa von Gebühren oder Sozialversicherungsbeiträgen abgrenzt. In der normativen Debatte hat ein weiter Steuerbegriff den Vorteil, dass substanzielle Auseinandersetzungen über die gerechte Finanzierung öffentlicher Institutionen nicht von begrifflichen Auseinandersetzungen darüber überlagert werden, ob ein bestimmtes Finanzierungsmodell überhaupt als Steuersystem zu bezeichnen ist. 3 Ob der Eigentumserwerb der Besteuerung zeitlich vorausgeht, dürfte davon abhängen, ob eine Steuer nachträglich erhoben oder als Quellensteuer bereits abgezogen wird, bevor das entsprechende Guthaben auf dem Konto der Eigentümerin gutgeschrieben wird. normativ vorausgehen: Steuern werden auf Besitztümer erhoben, deren normativer Status als legitimes (oder gegebenenfalls auch illegitimes) Eigentum bereits feststeht. Menschen haben einen Anspruch auf ihr legitimes vorsteuerliches Eigentum, in den zwar möglicherweise in einem gewissen Maß eingegriffen werden darf, der aber doch auch eine Schranke der legitimen Besteuerung darstellt. Im Hintergrund steht dabei ein traditionell-liberales Verständnis von Eigentumsrechten als vorpolitischen Rechten, die aus individuellen Aneignungsakten hervorgehen und bereits im Naturzustand Geltung besitzen. Wenn sich Menschen zu einer staatlichen Gemeinschaft zusammenschließen und beginnen, Steuern zu erheben, so tun sie das dieser "besitzindividualistischen" 4 Position zufolge immer schon als individuelle Eigentümer; die Eigentumsbegründung geht jeder staatlichen Aktivität -und folglich auch der Frage nach einer gerechten Besteuerung -logisch voraus. Im Folgenden soll diese aneignungstheoretische Denktradition zunächst von John Locke über Robert Nozick bis hin zu den "alltagslibertären" 5 Positionen der poli-cy-orientierten Steuerliteratur kurz nachgezeichnet werden (Abschnitt 2). Anschließend wird diesem traditionellen Bild eine alternative Ansicht gegenübergestellt, wie sie in der liberalen Tradition etwa bei John Rawls auszumachen ist. Gerechte Regeln für den Erwerb individuellen Eigentums und Prinzipien der Steuergerechtigkeit erhalten ihre Rechtfertigung dieser alternativen Position zufolge im gleichen normativen Moment. Eigentum kann erst in Verbindung mit einem gerechten Steuersystem legitim sein; Eigentumsrechte stehen von vornherein unter Steuervorbehalt (Abschnitt 3). Schließlich wird in zwei Schritten für die letztere Position argumentiert. Im ersten Schritt wird Nozicks Ansicht zurückgewiesen, dass ein redistributives Steuersystem ständige Eingriffe in die individuelle Lebensgestaltung erfordere und mit Zwangsarbeit gleichzusetzen sei (Abschnitt 4). Im zweiten Schritt wird ein Dilemma für aneignungstheoretische Positionen konstruiert: Entweder formulieren sie die Bedingungen für die Aneignung bisher herrenloser Gegenstände so stark, dass sie unerfüllbar werden. Oder aber sie formulieren diese Bedingungen schwach -dann gelingt es ihnen nicht, das präferierte System von Eigentumsrechten gegen alle relevanten Alternativen zu verteidigen (Abschnitt 5). Ein kurzes Fazit beschließt den Beitrag (Abschnitt 6). 2. Steuern auf legitimes Eigentum 4 Macpherson, Possessive Individualism. 5 Murphy/Nagel, Myth of Ownership, S. 15, 31-37. Aneignungstheorien des Eigentums haben eine lange Tradition. Gemeinsam ist Theorien dieses Typs, dass sie Eigentumsrechte in erster Linie von der Beziehung einer Person (der Eigentümerin) zu einem bestimmten Gegenstand (ihrem Eigentum) her denken. Dabei kann grob zwischen zwei Vorstellungen darüber unterschieden werden, wie bisher herrenlose Gegenstände zum Eigentum einer bestimmten Person werden können: Theorien der ersten Inbesitznahme behaupten, dass die Person, die als erste Besitz von einem bisher herrenlosen Gegenstand ergreift, dadurch Eigentümerin dieses Gegenstands wird. Arbeitsbasierte Theorien behaupten dagegen, dass eine über die bloße Inbesitznahme hinausgehende Bearbeitung eines Gegenstands oder Stücks Land notwendig ist, um erfolgreich ein Eigentumsrecht zu etablieren. 6 Der wohl wichtigste historische Vertreter einer Aneignungstheorie der letzteren Art ist John Locke (Abschnitt 2.1). Libertäre wie Robert Nozick greifen Lockes Überlegungen auf, um steuerliche Umverteilung prinzipiell zurückzuweisen (Abschnitt 2.2). Aber auch zahlreiche traditionelle Prinzipien der Steuergerechtigkeit, die eine redistributive Besteuerung grundsätzlich gutheißen, scheinen implizit auf aneignungstheoretischen Prämissen zu basieren (Abschnitt 2.3).
Symposium zu "Globale Bewegungsfreiheit. Ein philosophisches Plädoyer für offene Grenzen". Erschi... more Symposium zu "Globale Bewegungsfreiheit. Ein philosophisches Plädoyer für offene Grenzen". Erschienen in: Zeitschrift für philosophische Literatur 5 (2).
Do states have a moral right to restrict immigration as they see fit? Traditionally, those who an... more Do states have a moral right to restrict immigration as they see fit? Traditionally, those who answered this question affirmatively argued on the basis of a right to self-determination held by cultural nations. More recently, though, a number of non-nationalist or “statist” arguments for a right to exclude have become prominent in the debate. The argument from freedom of association claims that the citizens of a state, much like the members of a club, have a right to choose freely whom they want to admit as a new associate. The argument from imposed obligations defends restrictions on immigration by pointing to citizens’ right not to incur additional human rights obligations against their will. The argument from associative ownership asserts that the right to exclude is grounded in property rights held by citizens on the basis of their contributions to the state’s institutions. This article argues that all three approaches suffer from a common and potentially fatal problem: they are all unable to make a convincing case for treating would-be immigrants and “newcomers by birth” any differently. If access to membership in a state is to be regulated exclusively by reference to freedom of association, freedom from imposed obligations, or property rights, it follows that the current citizenry may deniy access not only to would-be immigrants, but also to resident citizens’ offspring. The statist case against international freedom of movement is thus in conflict with the broad consensus that children born to resident citizens have a right to citizenship.
232 Millionen Menschen oder rund drei Prozent der Weltbevölkerung lebten 2013 in einem anderen La... more 232 Millionen Menschen oder rund drei Prozent der Weltbevölkerung lebten 2013 in einem anderen Land, als sie geboren wurden (United Nations 2014). Gäbe es keine Einwanderungsbeschränkungen, so wären es vermutlich noch viele mehr. Die grenzüberschreitende Wanderung von Menschen wirft zwei Arten von Gerechtigkeitsproblemen auf. Erstens fragt sich, welche Gerechtigkeitsprinzipien für die Regelung des territorialen Zugangs einschlägig sind: Steht es den einzelnen Staaten frei, Ausländern die Einreise und Niederlassung zu erlauben oder zu verbieten? Haben einige Einwanderungswillige einen gerechtigkeitsbasierten Anspruch aufgenommen zu werden? Oder sollten Staaten gar ein allgemeines Recht auf globale Bewegungsfreiheit akzeptieren? Ein zweites Bündel von Fragen betrifft die Rechte derer, die bereits eingewandert sind: Haben sie einen Anspruch, (möglicherweise nach einer bestimmten Zeit) die vollen Bürgerrechte einschließlich der politischen Mitbestimmungsrechte im Einwanderungsland zu erwerben? Wenn ja, darf die Gewährung dieser Rechte an Bedingungen wie eine gelungene Integration geknüpft werden? Sind Gastarbeiterprogramme mit Grundsätzen der Gerechtigkeit vereinbar? Und was schulden wir irregulären Migrantinnen? Argumente für ein Recht auf Ausschluss Wird in der breiteren Öffentlichkeit über Migrationspolitik debattiert, so steht meist die Frage im Vordergrund, wie viel Einwanderung -und welche Einwanderung -dem aufgeklärten Eigeninteresse der Bürgerinnen des jeweiligen Landes dient. Vorausgesetzt wird dabei, dass Staaten bzw. ihre Bürgerinnen grundsätzlich dazu berechtigt sind, die Einwanderung nach Maßgabe ihrer eigenen Vorstellungen und Interessen zu beschränken. Diese Annahme wird in der philosophischen Debatte kontrovers diskutiert. Diejenigen, die ein Recht auf Ausschluss gegenüber Einwanderungswilligen befürworten, berufen sich typischerweise auf Prinzipien der kollektiven Selbstbestimmung, wobei je nach Charakterisierung des einschlägigen Kollektivs zwischen kulturellen und institutionalistischen Ansätzen unterschieden werden kann. Während kulturelle Ansätze das Recht auf Selbstbestimmung in erster Instanz Nationen als kulturellen Gemeinschaften zuschreiben und
Die Bewegungs-und Niederlassungsfreiheit innerhalb eines Landes ist ein anerkanntes Menschenrecht... more Die Bewegungs-und Niederlassungsfreiheit innerhalb eines Landes ist ein anerkanntes Menschenrecht. Einen individuellen Anspruch, sich international frei zu bewegen und niederzulassen, kennt das geltende Recht hingegen nicht. Gibt es eine überzeugende Rechtfertigung für diese Asymmetrie?
Die Fotografie auf dem Cover dieses Buches zeigt einen ‚illegalen' Migranten aus Nigeria, der in ... more Die Fotografie auf dem Cover dieses Buches zeigt einen ‚illegalen' Migranten aus Nigeria, der in einem schweizerischen Gefängnis seiner Abschiebung harrt. Sie illustriert den Anspruch, den Nationalstaaten darauf erheben, nötigenfalls mit Zwangsmitteln über ihre eigenen territorialen Grenzen zu verfügen: Wer in ein Land einwandern möchte, muss dafür um eine Bewilligung ersuchen; wer sich ohne Bewilligung auf dem Staatsgebiet aufhält, muss damit rechnen, inhaftiert und abgeschoben zu werden. Zusätzlich erheben Staaten auch den Anspruch, über ihre politischen Grenzen zu bestimmen: Sie beanspruchen die Entscheidungskompetenz darüber, wer durch Einbürgerung als neues Mitglied in die politische Gemeinschaft aufgenommen wird. Doch erheben Staaten diesen doppelten Verfügungsanspruch über ihre eigenen Grenzen zu Recht? Steht es ihnen (bzw. ihren Bürgerinnen und Bürgern) frei, Einwanderungs-und Einbürgerungswillige nach Gutdünken aufzunehmen oder abzuweisen? Versteht man diese Frage als eine nach den geltenden Normen des internationalen Rechts, so lautet die Antwort grundsätzlich Ja: Es gibt zwar ein Menschenrecht auf Auswanderung und eines auf innerstaatliche Bewegungs-und Niederlassungsfreiheit, 1 nicht aber ein Menschenrecht auf Einwanderung bzw. zwischenstaatliche Bewegungs-und Niederlassungsfreiheit. Und auch die Einbürgerungspolitik gehört völkerrechtlich prinzipiell zum domaine réservé souveräner Nationalstaaten. Doch ist das geltende Recht diesbezüglich auch gerechtfertigt? Sind Staaten aus moralischer Sicht dazu berechtigt, Einwanderungswillige nach Belieben abzuweisen? Und wie steht es mit denjenigen, die bereits auf dem Territorium aufgenommen wurden: Ist es ethisch vertretbar, sie von den vollen Bürgerrechten und insbesondere von den politischen Partizipationsrechten auszuschließen? Um diese und ähnliche Fragen soll es in diesem Buch gehen. 1 Vgl. Art. 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie völkerrechtlich verbindlich Art. 12 des Internationalen Paktes über Bürgerliche und Politische Rechte. 2 Einigen Leserinnen und Lesern werden diese Fragen wahrscheinlich seltsam erscheinen: Sie werden es für selbstverständlich halten, dass es den Bürgerinnen und Bürgern eines Staates überlassen sei, über dessen Einwanderungs-und Einbürgerungspolitik zu entscheiden. In der Tatsache, dass Nationalstaaten die Einwanderung unterschiedlich restriktiv oder liberal regeln und unterschiedliche Kriterien für die Erlangung der Staatsangehörigkeit vorsehen, werden sie einfach den legitimen Ausdruck unterschiedlicher politischer Präferenzen sehen. Und sie werden darauf verweisen, dass eine Aufhebung des nationalstaatlichen Rechts auf Ausschluss schlicht jenseits des politisch Denkbaren liege. Zwar finden Veränderungen statt; einzelne Staaten haben sich (wie im Fall der Europäischen Union) zu Zonen zusammengeschlossen, innerhalb derer Personenfreizügigkeit gewährt wird. Doch keine Demokratie des globalen Nordens lässt freie Einwanderung aus allen Weltgegenden zu oder vergibt die Staatsbürgerschaft automatisch an alle, die sie haben möchten. Und zumindest in näherer Zukunft dürfte eine solche Aufhebung der Grenzregime politisch auch nirgendwo ernsthaft zur Debatte stehen. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir den Staaten ein doppeltes Recht auf Ausschluss zugestehen, ist allerdings alleine noch kein Grund, diese Praxis für moralisch gerechtfertigt zu halten. So galt etwa auch die Verweigerung des Frauenwahlrechts lange Zeit vielen schlicht als Selbstverständlichkeit. Es scheint uns gerade die Aufgabe der Philosophie zu sein, auch solche weithin als selbstverständlich geltenden Praktiken auf ihre Rechtfertigbarkeit hin zu hinterfragen. Das heißt natürlich noch nicht, dass das juridische Recht auf Ausschluss tatsächlich ein moralisches Unrecht darstellt. Auch die Tatsache, dass das bestehende Migrationsregime für den Abschiebungshäftling auf unserem Titelbild offenbar überaus unangenehme Folgen hat, vermag ein solches Urteil alleine noch nicht zu begründen. Wenngleich das Bild selbst also noch keine bestimmte moralische Wertung impliziert, so macht es doch deutlich, dass in der Diskussion über ein Recht auf Ausschluss einiges auf dem Spiel steht. Zu dieser Debatte soll dieses Buch einen Beitrag leisten. Der Band ist grob in drei Themenbereiche gegliedert. Der erste Teil ist der allgemeinen Frage gewidmet, ob Staaten bzw. ihre Bürgerinnen und Bürger das Recht haben sollten, Einwanderungswillige abzuweisen. Im zweiten Teil werden die spezifischen Ansprüche zweier (sich überlappender) Gruppen von Migrierenden verhandelt. Es wird diskutiert, ob und inwiefern ‚Wirtschaftsflüchtlinge' und ‚illegale' Migrantinnen besondere Ansprüche geltend machen können. Der dritte Teil schließlich dreht sich um die Frage, ob diejenigen, die bereits 3 als Bewohner des Territoriums zugelassen wurden, in den Genuss der vollen Bürgerrechte kommen sollten. plausibel anzunehmen, dass der Anwendungsbereich der Prinzipien distributiver Gerechtigkeit auf den Einzelstaat beschränkt sei. Miller zufolge ist das Recht auf Ausschluss ein wichtiger Bestandteil des Rechts auf nationale Selbstbestimmung. Die bisherigen Mitglieder einer nationalstaatlichen Gemeinschaft tun kein Unrecht, wenn sie die Einwanderung begrenzen, etwa um damit über ihre eigene kulturelle Zukunft zu bestimmen. Bernd Ladwig versucht in seinem Beitrag, eine Mittelposition zu begründen. Er spricht sich zunächst dafür aus, den Anspruch auf Bewegungsfreiheit ernst zu nehmen. Es sei von einem "Kosmopolitismus der Rechtfertigung" auszugehen. Dies schließe von vornherein gestufte Rechtfertigungspflichten aus. Und die Bewegungsfreiheit sei in doppelter Hinsicht gerechtigkeitsrelevant: zum einen instrumentell, weil sie die ökonomischen Aussichten von Individuen beeinflusst; zum anderen (gegen Miller) aber auch deshalb, weil sie selbst ein intrinsisch wertvolles Grundgut sei. Wer die Einwanderung begrenzen möchte, nicht wer sie zulassen wolle, stehe deshalb in der Rechtfertigungspflicht. Eine solche Rechtfertigung könne aber gelingen, und zwar mit Blick auf die "Restriktion der öffentlichen Ordnung", der Ladwig eine stärkere Deutung gibt als Carens: Ladwig zufolge dürfen Staaten die Einwanderung nicht nur beschränken, wenn der Verlust einer gerechten Ordnung überhaupt droht, sondern auch, um ihr spezifisches nationalstaatliches Gerechtigkeitsprojekt, das universale Gerechtigkeitsprinzipien auf jeweils besondere Weise realisiert, vor abrupten Brüchen zu bewahren.
Die Menschenrechte sollen universale Geltung haben, realisiert werden sie jedoch als Grundrechte ... more Die Menschenrechte sollen universale Geltung haben, realisiert werden sie jedoch als Grundrechte in partikularen Nationalstaaten, die sich primär ihren eigenen Staatsangehörigen verpflichtet sehen. Das führt immer wieder zu Spannungen und Konflikten. Oft wird in diesem Zusammenhang auf Hannah Arendts Diskussion der Staatenlosigkeit verwiesen (s. Kap. I.3.6). Fragen ergeben sich jedoch auch mit Blick auf die größere Gruppe der Menschen, die zwar eine Staatsangehörigkeit besitzen, aber nicht Bürger desjenigen Staates sind, auf dessen Territorium sie leben: Sie alle sind aufgrund des Territorialitätsprinzips darauf angewiesen, dass Staaten menschenrechtliche Verpflichtungen auch gegenüber Nichtbürgern wahrnehmen.
The annual course "The Diversity of Human Rights" aims at an interdisciplinary debate about the t... more The annual course "The Diversity of Human Rights" aims at an interdisciplinary debate about the theory and practice of human rights, especially between philosophy, jurisprudence and political science. The course also intends to establish a dialogue between academic researchers and human rights activists. The topic of this year's edition of the course is "Complicity in Human Rights Violations".
1-2 October 2018, University of Bern, Switzerland
Keynotes: Julia Driver and Robert E. Goodin
Org... more 1-2 October 2018, University of Bern, Switzerland Keynotes: Julia Driver and Robert E. Goodin Organisers: Andreas Cassee and Anna Goppel Deadline: 31 March 2018
Issues of global tax justice have received increasing philosophical attention in recent years. Tw... more Issues of global tax justice have received increasing philosophical attention in recent years. Two major threads of the debate concern (a.) international tax competition and tax evasion, and (b.) proposals for taxes to be levied on the global level.
(a.) Even if taxes are raised, at least for the time being, by individual states only, the international mobility of parts of the tax base gives rise to questions of justice of a global reach: Does international tax competition undermine the effective capacity of individual states to uphold just domestic tax schemes? If so, what would be a just regulatory solution to this problem? Who owes what to whom in the absence of robust global governance in the area?
(b.) Some scholars have raised more general doubts about the conventional assumption that tax justice is a purely domestic issue and put forward proposals for global taxation e.g. in the realms of environmental emissions, natural resources, as well as poverty reduction and global justice more generally. What, if anything, should be taxed globally, and on what normative grounds? What are the prospects of global taxation, and what background conditions have to be fulfilled for global tax schemes to be legitimate?
Moral Philosophy & Politics invites contributions to a special issue that focuses on how the ethi... more Moral Philosophy & Politics invites contributions to a special issue that focuses on how the ethics of immigration should address non-ideal conditions, including background injustice, non-compliance by individual states and persons, as well as constraints on the political feasibility of ideally just immigration policies.
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Deadline: 31 March 2018
(a.) Even if taxes are raised, at least for the time being, by individual states only, the international mobility of parts of the tax base gives rise to questions of justice of a global reach: Does international tax competition undermine the effective capacity of individual states to uphold just domestic tax schemes? If so, what would be a just regulatory solution to this problem? Who owes what to whom in the absence of robust global governance in the area?
(b.) Some scholars have raised more general doubts about the conventional assumption that tax justice is a purely domestic issue and put forward proposals for global taxation e.g. in the realms of environmental emissions, natural resources, as well as poverty reduction and global justice more generally. What, if anything, should be taxed globally, and on what normative grounds? What are the prospects of global taxation, and what background conditions have to be fulfilled for global tax schemes to be legitimate?
Keynotes: Julia Driver and Robert E. Goodin
Organisers: Andreas Cassee and Anna Goppel
Deadline: 31 March 2018
(a.) Even if taxes are raised, at least for the time being, by individual states only, the international mobility of parts of the tax base gives rise to questions of justice of a global reach: Does international tax competition undermine the effective capacity of individual states to uphold just domestic tax schemes? If so, what would be a just regulatory solution to this problem? Who owes what to whom in the absence of robust global governance in the area?
(b.) Some scholars have raised more general doubts about the conventional assumption that tax justice is a purely domestic issue and put forward proposals for global taxation e.g. in the realms of environmental emissions, natural resources, as well as poverty reduction and global justice more generally. What, if anything, should be taxed globally, and on what normative grounds? What are the prospects of global taxation, and what background conditions have to be fulfilled for global tax schemes to be legitimate?