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Year: 2019
Liberale Kräfte im Kreuzfeuer
Korf, Benedikt ; Schenk, Christine
Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of Zurich
ZORA URL: https://doi.org/10.5167/uzh-175073
Newspaper Article
Originally published at:
Korf, Benedikt; Schenk, Christine. Liberale Kräfte im Kreuzfeuer. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung,
116, 20 May 2019, 13.
Feuilleton
FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUN G
ie Attentäter kamen aus dem
Hinterhalt. Als die Gläubigen
ins Gebet vertieft waren,
schlugen sie zu, 2019 ebenso
wie 1990. Nur waren es damals keine Kirchen, sondern Moscheen,
und statt Christen starben Muslime. Für
den Tod von 147 muslimischen Männern
in vier Moscheen in Kattankudy, an der
Ostküste Sri Lankas, machte die Regierung die LTTE, eine separatistische tamilische Organisation, genannt Befreiungstiger, verantwortlich. Kattankudy ist auch
der Geburtsort von Zahran Hashim, einem
der mutmaßlichen Drahtzieher der Bombenanschläge vom Ostersonntag, bei denen mehr als 250 Personen starben. Hinter
den Anschlägen von 2019 sieht die Regierung vor allem die islamistische Splittergruppe National Thowheed Jama’ath
(NJT), die ihre Wurzeln in Kattankudy hatte. Zwei blutige Anschläge, die ganz unterschiedliche Hintergründe haben. Dennoch
kann man die Attentate vom Ostersonntag
nicht ohne die Anschläge vom 3. August
1990 verstehen. Und das nicht nur in Bezug auf Kattankudy.
Die Ereignisse am Ostersonntag stehen
quer zu den bekannten Konflikten zwischen den ethnischen Gruppen der Tamilen, Muslime und Singhalesen in Sri Lanka. Warum suchten sich die islamistischen
Attentäter christliche Kirchen (neben Hotels) als Ziele aus? Wieso nicht buddhistische Heiligtümer, wo die Bedrohung der
Muslime in den letzten Jahren doch vornehmlich von buddhistischer Seite kam?
Immer wieder ist dafür der Einfluss des IS
geltend gemacht worden, der schon seit
mehreren Jahren im virtuellen Raum auf
der Jagd ist nach neuen Kämpfern für den
globalen Dschihad. Das ist jedoch zu kurz
gegriffen. Tatsächlich scheinen eher die zunehmende interne Fragmentierung der
Muslime, eine polarisierende Klientelpolitik und die antimuslimische Agitation von
singhalesischen und vermehrt tamilischen
Politikern einige Muslime in Sri Lanka für
die antichristliche Ideologie des IS anfällig
gemacht zu haben. Das legt zumindest unsere gemeinsam mit Shahul Hasbullah von
der Universität Peradeniya in Sri Lanka
durchgeführte Forschung nahe.
Die Attentate auf Kattankudys Moscheen fallen in die Zeit des srilankischen
Bürgerkriegs, in dem die tamilischen Befreiungstiger gegen den singhalesisch dominierten Staat kämpften. Die Muslime versuchten sich aus diesem Krieg zwischen tamilischen Hindus und singhalesischen
Buddhisten herauszuhalten. Gelungen ist
es ihnen nicht, stattdessen kam es zu einer
Polarisierung zwischen der tamilischen
und der muslimischen Minderheit, die beide an der Ostküste Sri Lankas leben. Als
der Bürgerkrieg Ende der achtziger Jahre
eskalierte, tötete die LTTE immer wieder
Muslime, da sie diese verdächtigte, mit der
Armee zu kollaborieren. Unter Sri Lankas
Muslimen lösten diese Entwicklungen große Verunsicherung aus, und zunehmend
verstanden sie sich neben Singhalesen und
Tamilen als eigene ethnische Gruppe. In
dieser Zeit gründete M.H.M. Ashraff den
Sri Lanka Muslim Congress (SLMC), die
erste Partei, die sich explizit für die Interessen der Muslime einsetzte. 1994 trat der
SLMC in die nationale Regierung ein, und
Ashraff wurde zum Minister ernannt.
Muslimische Politiker halten bis heute
wichtige Ministerämter. Viele von ihnen
bespielen erfolgreich die Klaviatur der
Klientelpolitik in Sri Lanka, wo Politik als
umfassende Verteilungsmaschine funktioniert. Parteien und Politiker schanzen ihren Anhängern staatliche Jobs zu und kanalisieren staatliche Mittel in ihre Wahlkreise, um Straßen, Schulen und Krankenhäuser zu bauen. In ärmeren ländlichen Gebieten ist die Klientelpolitik besonders wichtig, entscheidet sie doch über den Zugang
zu dringend benötigten staatlichen Mitteln. M.H.M Ashraff galt als besonders erfolgreicher Klientelpolitiker. Als er am 16.
September 2000 überraschend bei einem
Hubschrauberabsturz starb, fragmentierte
sich ohne seine charismatische Führung
die politische Landschaft der Muslime
schnell: Verschiedene Lokalmatadoren zerstritten sich im Wettbewerb um die muslimische Wählerschaft, und vom SLMC spalteten sich neue politische Parteien ab.
M O NTAG, 20. MA I 2 019 · NR. 116 · S EITE 13
merksam gemacht, Verbindungen, die er
auch in Internetforen propagierte. Der Geheimdienst unterschätzte die Schlagkraft
Hashims, den entsprechenden Hinweisen
soll er nicht nachgegangen sein.
Solange der Bürgerkrieg gegen die
LTTE anhielt, betrachteten singhalesische
Politiker die Spannungen in Kattankudy
und anderswo als „interne Angelegenheit“ der Muslime. Muslimische Parteien
waren schließlich in Koalitionen mit singhalesischen Parteien in die Regierung
eingebunden. Die Muslime verfügten oft
über die entscheidenden Sitze im Parlament, um der einen oder anderen Partei
zur Mehrheit zu verhelfen. Nach dem
Ende des Bürgerkriegs kam es jedoch vermehrt zu antimuslimischen Agitationen
nationalistischer singhalesischer Politiker
und Mönche, die zur Folge hatten, dass
sich zunehmend eine feindliche Stimmung gegenüber Muslimen unter der singhalesischen Bevölkerung breitmachte.
2014 und 2018 kam es zu antimuslimischen Ausschreitungen in Aluthgama und
in Digana, beides Orte, die nicht im bürgerkriegsversehrten Osten, sondern in der
Nähe der mehrheitlich singhalesisch bewohnten Städte Colombo und Kandy liegen. Die Sicherheitskräfte schritten nur zögerlich gegen die antimuslimischen Extremisten ein. Wieder entstand große Verunsicherung unter den Muslimen, die sich
nicht mehr vom Staat geschützt fühlten.
D
ie passen diese Puzzleteile
zusammen? Einflussreiche
muslimische Politiker, die
mit singhalesischen Politikern koalieren und ihre Regierungsposten erfolgreich für eine Klientelpolitik zugunsten ihrer muslimischen
Wählerschaft nutzen. Tiefgehende religiöse Spannungen innerhalb der Muslime, die
sich zugleich immer mehr gegenüber anderen ethnischen Gruppen abschotten. Opportunistische Klientelpolitiker, die dennoch eine wichtige Rolle dabei spielen, die
verschiedenen religiösen Strömungen politisch zusammenzuhalten und in den vielfältigen Konflikten zu vermitteln. Singhalesische Politiker, die mit muslimischen Politikern in der Regierung sitzen und zugleich
ihre Anhänger gegen Muslime mobilisieren.
Die Antwort auf die Frage, wieso es zur
Radikalisierung einer muslimischen
Gruppe in Sri Lanka kommen konnte, ist
weniger im globalen Dschihad als in den
Niederungen der Identitätspolitik in Sri
Lanka zu suchen. Und wer von Identitätspolitik in Sri Lanka spricht, kann von der
fatalen Logik der Klientelpolitik nicht
schweigen. Friedliche Koexistenz bedeutet eben nicht, sich möglichst voneinander abzuschotten und in Ruhe zu lassen,
sondern verlangt nach einer fairen politischen Zuteilung staatlicher Ressourcen,
unabhängig von ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit. Stattdessen verschärft
die Logik der Klientelpolitik die Polarisierung innerhalb und zwischen den ethnischen Gruppen immer weiter. Im Extremfall bis zur politischen Gewalt, die Sri Lanka schon so oft erschüttert hat.
Liberale Kräfte geraten in dieser ethnischen Polarisierung ins Kreuzfeuer. Shahul Hasbullah, jüngst verstorbener Professor an der Universität Peradeniya, ist dafür ein Beispiel. Has, wie wir ihn nannten, stand für einen liberalen Islam. Ihm
verdanken wir viele der Einsichten, die
wir hier dargelegt haben. Er war seiner
muslimischen Gemeinschaft eng verbunden, aber immer offen und voller Verständnis für die Anliegen, Ängste und Sorgen anderer ethnischen Gruppen. Als Aktivist
setzte er sich nicht nur für die Rechte muslimischer Kriegsopfer ein, sondern auch
für die Anliegen der tamilischen Minderheit. Auch er war besorgt – über eine konservative Islaminterpretation, über die zunehmende Verhärtung der Beziehungen
zwischen den ethnischen Gruppen. In seiner eigenen Universität musste er sich der
Einschüchterungsversuche
singhalesischer Nationalisten erwehren. Menschen
wie Has werden es in Zukunft noch schwerer haben, in Sri Lanka Gehör zu finden.
W
Kriegszustand im Haus Gottes: Ein Soldat bewacht die verwüstete Kirche St. Anthony’s Shrine in der Hauptstadt Colombo.
Foto AP
Liberale Kräfte
geraten ins Kreuzfeuer
Die Anschläge auf Kirchen und Hotels am Ostersonntag haben Sri Lanka erschüttert.
Die Radikalisierung der islamistischen Attentäter hat weniger mit dem globalen
Dschihad zu tun als vielmehr mit der Identitätspolitik des Landes
Von Benedikt Korf und Christine Schenk
n dieser Dynamik spielte M.L.A.M.
Hizbullah, ein einflussreicher Politiker aus Kattankudy, eine wichtige
Rolle. Immer wieder wechselte er
die Parteizugehörigkeit, um sich einen Sitz im Parlament und ein Ministeramt
zu sichern. Hizbullah wurde so zum Sinnbild des opportunistischen muslimischen
Politikers, der sich nur um seine Wählerklientel und den eigenen Vorteil kümmert.
Dieses Bild verdeckt jedoch, dass Hizbullah zugleich eine wichtige Kraft war, um in
dem polarisierten muslimischen Milieu in
Kattankudy zwischen unterschiedlichen islamischen Strömungen und ihren Anhängern zu vermitteln. Paradoxerweise sollte
genau dies die Radikalisierung von Zahran
Hashim, einem der zentralen Drahtzieher
vom Ostersonntag, und seinen Anhängern
befördern. Wie kam es dazu?
Neben der politischen Fragmentierung
fand in dieser Zeit eine tiefgreifende religiöse Pluralisierung unter den Muslimen
statt, die viel Konfliktstoff bereithielt. Traditionell war unter Sri Lankas Muslimen
der Sufismus stark. Dieser mystischen Strömung des Islams stellten sich verschiedene
I
Reformbewegungen entgegen, die seinen
Mystizismus ablehnten. Seit den achtziger
Jahren gewannen neue Vorstellungen darüber, was es bedeutet, ein guter Muslim
oder eine gute Muslima zu sein, in Kattankudy und anderswo in Sri Lanka immer
mehr an Bedeutung: die aus Indien stammende, pietistisch orientierte Bewegung
der Tabligh Jama’ath und die aus dem Nahen Osten kommende Bewegung der
Thowheed Jama’ath. Diese islamischen Reformbewegungen wurden unter dem
Druck der ethnischen Polarisierung zu einer wichtigen Quelle der Identifikation.
Beide richteten sich gegen die Sufis, deren
Glaubenspraktiken sie von „unislamischen“ Elementen reinigen wollen. Dabei
gehen die Anhänger des Thowheed tendenziell aggressiver gegen die Sufis vor als die
der Tabligh.
Kattankudy, ein wichtiges Zentrum dieser islamischen Reformbewegungen in Sri
Lanka, ist für die Entwicklung ein gutes
Beispiel. In einer Situation, in der wirtschaftlicher Aufschwung mit einer prekären Sicherheitslage einherging, gewannen
Prediger von Tabligh und Thowheed Ein-
fluss in den Moscheen. Prediger und Organisationen, die dem Thowheed nahestehen, erhalten oft finanzielle Unterstützung
von arabischen Gönnern, unter anderem,
um lokale Predigerschulen zu unterhalten.
Auch Hizbullah war diesen Kreisen eng verbunden. In Moscheen im Osten Sri Lankas
predigte auch Zahran Hashim, der schon
lange als Verfechter einer noch radikaleren
Islamauslegung als die der Thowheed galt.
Er war wegen seiner extremen Gesinnung
aus einer Predigerschule ausgeschlossen
worden, was ihn nicht daran hinderte, ein
charismatischer Prediger zu werden.
Die vordem traditionell einflussreichen Sufiprediger verloren hingegen zunehmend an Einfluss. Einige von ihnen
wurden sogar offiziell vom muslimischen
Gelehrtenrat in Sri Lanka, dem All Ceylon Jammiyathul Ullama (ACJU), exkommuniziert. 2006 kam es im Anschluss an
den Tod eines bekannten Sufipredigers sogar zu gewalttätigen Ausschreitungen, bei
denen zwei seiner Anhänger starben. In
diesem schwierigen Umfeld kam Hizbullah noch einmal ins Spiel. Als Moulavi Abdul Rauf, ein charismatischer Sufipredi-
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ger aus Kattankudy, 1979 von ACJU exkommuniziert wurde, setzte sich Hizbullah jahrelang für ihn ein und konnte
schließlich die Aufhebung der Exkommunikation bewirken. Im Gegenzug hatte
Moulavi Abdul Rauf dem Politiker einen
wichtigen Wählerblock verschafft: seine
Anhängerschaft, die auf ungefähr 3000
Muslime geschätzt wurde. So gelang Hizbullah das Kunststück, sich eng mit der
Bewegung des Thowheed zu verbinden
und zugleich als politischer Patron eines
wichtigen Sufipredigers aufzutreten.
Am 10. März 2017 kam es zum Streit
zwischen Anhängern von Zahran Hashim
und Moulavi Abdul Rauf. Beobachter des
muslimischen Milieus in Sri Lanka halten
diesen Zusammenstoß für einen Wendepunkt, der Zahran Hashim und einige seiner Anhänger weiter radikalisierte. Aufgrund des Schutzes, den Moulavi Abdul
Rauf von Hizbullah erhielt, musste Zahran
Hashim vor dem Zugriff der Polizei flüchten. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatten besorgte islamische Geistliche die srilankischen Sicherheitskräfte auf Hashims
ideologische Verbindungen zum IS auf-
Benedikt Korf ist Professor für Politische Geographie, Christine Schenk ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Religionswissenschaftlichen Seminar,
beide an der Universität Zürich.