Gregory Jones-Katz
Schwindel der Gegenwart
Leben in Shenzhen
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Bis Mitte des 21. Jahrhunderts werden die Megacitys Shenzhen und Hongkong voraussichtlich zu einer einzigen Megalopolis verschmelzen – mit
dann mehr als 20 Millionen Bewohnern. Und doch wird dieser urbane Riesenkomplex nach den Plänen der chinesischen Regierung selbst Teil einer
noch größeren Einheit sein: eines zusammenhängenden Wirtschaftszentrums, das nicht nur Hongkong und Shenzhen umfasst, sondern Macau,
Guangzhou, Zhuhai, Foshan, Zhongshan, Dongguan, Huizhou, Jiangmen
und Zhaoqing noch dazu. Es gibt nicht nur die sichtbaren Investitionen in
die Gegenwart dieser »Greater Bay Area«; die ganze Kultur der Region ist
auf das Versprechen glorreicher Zukunftsaussichten hin orientiert.
Als ich im September 2016 aus den USA nach Shenzhen kam, um hier
zu leben und arbeiten, nur sechs Wochen vor dem Anbruch der TrumpovPräsidentschaft, schien mir der Kontrast zwischen der weltgeschichtlichen
Situation Amerikas und Chinas umso schockierender. Der gesellschaftliche
Zusammenhalt meines Heimatlands schien bedroht, ja brutal angegriffen
durch extreme Spaltung, Verbitterung und krasse Ungleichheiten; Amerika
befand sich, wie es aussah, in einem steilen Niedergang. Seine Zukunft
nahm sich dürftig aus neben der Hoffnung, der Zuversicht und dem Geist
des Experiments, die Shenzhen verströmte, mit seiner stetig wachsenden
Zahl von Wolkenkratzern (die zweithöchste Dichte weltweit, nur übertroffen von Hongkong) und seiner Silicon-Valley-Atmosphäre. Schon das sonnige Klima (Shenzhen liegt ein Grad südlich des Wendekreises des Krebses)
wirkte lichtvoll und erhellend. Ich war zunächst wie betäubt vom historischen Schwindel, der mich in Shenzhen befiel. Meine anfängliche Ahnungslosigkeit, was das Leben in der chinesischen Megacity betrifft, wich jedoch
nach dem Schock der ersten Tage immer neuen Wellen von Verwirrung und
Ratlosigkeit. Es dauerte ein paar Monate, bis ich mich in diese so ganz
anders strukturierte Realität einzufinden begann.
Als mein Flug über den Pazifik am Internationalen Flughafen Shenzhen
Baoan endete, hatte ich von den grandiosen Plänen Chinas für die »Greater
Bay Area« noch keine Ahnung. Allerdings muss jeder, der mit dem Zustand
der US-Infrastruktur vertraut ist – ich bin in New York aufgewachsen und
die Schäbigkeit des Flughafens LaGuardia war ein verlässlicher Gegenstand
von Hohn und Spott –, Baoan mit Staunen begegnen. Der Flughafen wurde
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von italienischen Architekten entworfen, und zwar »ganz bewusst in der
Gestalt eines Mantarochens, allerdings als ein Fisch, der atmet und seine
eigene Gestalt immer wieder verändert, sich in einen Vogel verwandelt, zur
Feier von Emotionen und Fantasien des Fliegens«.1 Mir wurde erst nach und
nach und lange, nachdem ich wie betäubt durch Terminal 3 getappt war,
klar, dass ich, um in Shenzhen (und China insgesamt) glücklich zu sein,
selbst ein solcher Mantarochen werden musste, der im Einklang mit seiner
Umwelt wogt und sich wandelt und in eine offen-fluide Zukunft bewegt. Ich,
ein amerikanischer Historiker, lebte jetzt in Shenzhen, einer »Stadt ohne
Geschichte« – einer Stadt, die seit kaum vier Jahrzehnten existiert –, mit
Bewohnerinnen und Bewohnern, die ihre eigene Geschichte erst schaffen
müssen. Das blieb zwar alles desorientierend genug, aber es könnte, wie ich
begriff, mir selbst durchaus zupasskommen. Und mir im Gegenzug sogar
helfen, einen neuen, gebrocheneren Blick auf meine »Heimat« zu finden.
Richtungswechsel
So zog ich also nach Shenzhen, in die unmittelbare Nachbarschaft des
traditionsreichen und oft romantisierten Hongkong, um dort an einer
neuen Universität zu arbeiten, die sich internationale Kooperation auf die
Fahnen geschrieben hat. Unversehens wurde ich so zum Teil einer derzeit
stattfindenden globalen akademischen Nord-nach-Süd-Migration. Diese
Bewegung von Akademikerinnen und Akademikern des Globalen Nordens
ist motiviert durch die Hoffnung auf eine berufliche Zukunft, die ihnen
wegen des nun schon Jahrzehnte währenden Entzugs öffentlicher Gelder für
die akademischen Institutionen im Norden verwehrt ist. Ich habe ein wenig
gebraucht, bis ich begriff, dass die Richtung dieser Bewegung eine Umkehrung des Vergangenen ist. Denn es waren ja die chinesischen Universitäten,
die den größten Teil des 20. Jahrhunderts hindurch einen brain drain erlebt
hatten, bei dem die erfolgreichsten und ambitioniertesten Studierenden
und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler häufig im Globalen Norden
nach Ausbildung (auf allen Stufen) und Chancen (sei es in Forschung oder
Lehre) suchten. Dass China sich in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts öffnete, half da zunächst wenig. Als die chinesische Regierung
nach dem Tiananmen-Massaker die Universitäten dazu veranlasste, die
eigenen Leistungen zu überprüfen, waren sie, wie Joshua Mok Ka-ho
und Xiao Han dargestellt haben, zu dem Ergebnis gekommen, dass »die
schlechte Qualität von Forschung und Lehre« im Verbund mit dem scharfen
1 https://november.world/Arch-Professional-Works
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internationalen Wettbewerb chinesische Forscherinnen und Forscher ins
Ausland trieb.2
Seit 2010 hat China darauf mit der Eröffnung von Kooperations-Universitäten – etwa der NYU Shanghai und in jüngerer Zeit der Duke Kunshan
University – reagiert und versucht, ausländische Forscherinnen und Studierende ins Land zu locken. Diese Internationalisierungsversuche sind Teil
eines umfassenderen Aufbruchs nach den Ereignissen von 1989. Wang Hui
hat in einem Artikel dargestellt, dass es 2017 »insgesamt 2637 Colleges und
Universitäten mit Master-Abschlüssen gab, darunter 1243 ohne Promotionsrecht, 1388 Berufs- und Fachhochschulen und 265 unabhängige Institutionen«.3 Das seit dem Jahr 2000 beschleunigte spektakuläre Wachstum der
höheren Bildung in China ähnelt dem Wachstum von Colleges und Universitäten in den USA der ersten Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg. Gewiss, die Kontexte und Ziele unterscheiden sich, ein essentielles Bedürfnis
aller Akademikerinnen und Akademiker erfüllten diese Expansionen aber
auf jeden Fall: Sie verschafften dauerhafte Jobs und den noch Glücklicheren
auch Forschungsgelder.
Für Akademiker aus den Vereinigten Staaten ist der Niedergang der wissenschaftlichen Prosperität in den angelsächsischen Ländern nicht zu übersehen. In der Imagination Chinas jedoch scheint ihr Glanz ungebrochen.
Den USA, Großbritannien und Australien gilt es nachzueifern, sie sind der
Maßstab für Qualität, an dem es sich zu messen gilt. Die chinesischen Universitäten wiederum nutzen die Expertise und das Humankapital der im
Überschuss produzierten Eliten des Westens und ermöglichen chinesischen
Studierenden den Zugang zu internationalen Strukturen des Wissenserwerbs. Indem sie Akademiker mit internationalen Eliteabschlüssen an
ihren Instituten halten, schärfen sie ihr Profil und steigern ihr Prestige.
Es mag auf den ersten Blick, und von China aus gesehen, so scheinen,
als erfreute sich der Homo academicus americanus nach Art des zeitgenössischen Kapitals einer enormen Zirkulationsfreiheit zwischen den Finanzzentren der globalisierten Welt. Akademiker, die aus dem Westen in
den Globalen Süden migrieren, werden, so die Soziologen Bingyu Wang
und Jingfu Chen, für gewöhnlich als einer Elite angehörige Individualisten
»mit großem Human- und Mobilitätskapital« betrachtet, da sie teilhaben
Joshua Mok Ka-ho / Xiao Han, From »brain drain« to »brain bridging«: Transnational higher education development and graduate employment in China. In:
Journal of Higher Education Policy and Management, Nr. 38/3, 2016.
3 Wang Hui, The Humanities in China: History and Challenges. In: History of
Humanities, Nr. 5/2, Herbst 2020.
2
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an der »globalen Akademie«, »in der westliche Formen und Plattformen
die Wissensproduktion und die Forschungsergebnisse dominieren«.4 In der
Wirklichkeit aber machen auch wir ständig unangenehme Desorientierungserfahrungen. Die meisten von uns hier in China sind keine herausragenden,
wurzellosen Kulturagenten, sondern mittelprächtige Transnationale mit
einer unklaren Position in den internationalen akademischen Hierarchien.
Die intellektuelle Diaspora des Globalen Südens mag manche an den intellektuellen und künstlerischen Exodus der 1930er Jahre aus Europa in
die Vereinigten Staaten erinnern, als New York und Hollywood Paris und
Wien als neue Heimat der westlichen Kultur ablösten. Angesichts der Macht
der Kommunistischen Partei Chinas und der alles durchdringenden Präsenz
ihrer Ideologie scheinen jedoch große Zweifel angebracht, ob eine ähnliche
Blüte des intellektuellen Lebens im Reich der Mitte möglich sein kann, außer
vielleicht in kleinen Nischen. Die aktuelle akademische Migration Richtung
China wird am Ende womöglich nur die Entwicklung von Paralleluniversen
verstärken, mit zwei getrennten Versionen des Internets und, natürlich, sehr
verschiedenen politischen Systemen. Amerikanerinnen und Amerikaner in
China werden weiterhin durch nebeneinander existierende Welten navigieren müssen – mit Leben und Arbeit in die fortgesetzten Auseinandersetzungen zwischen beiden verstrickt.
Gegenwärtige Zukünfte I
Beim Aufbau der chinesisch-internationalen Kooperationsuniversität in
Shenzhen waren in rascher Folge Gebäude hochgezogen, Räumlichkeiten
geschaffen, Leute eingestellt und Programme entwickelt worden. Wie ein
qualitativ hochwertiges Shanzhai-Produkt (ein chinesischer Begriff für Imitationen und Kopien wie Adidos-Turnschuhe oder uPhone-Hüllen) sollte
der neue Campus in Shenzhen das Original in Hongkong »kopieren« oder
»reproduzieren«. Es ging dabei durchaus um die Einebnung der Hierarchien
zwischen dem alten und dem neuen Campus. Die Dekonstruktion der Differenz von Ursprung und Nachahmung – eine metaphysischer Gegensatz,
der im Herzen der westlichen Philosophie und Kultur liegt – ist im Ergebnis
oft einigermaßen verwirrend. So gleichen sich etwa die Websites der zwei
Versionen der Universität auf unheimliche Weise – die gar nicht so kleinen
Unterschiede fallen erst bei genauer Betrachtung ins Auge.
4
Bingyu Wang / Jingfu Chen, Emotions and Migration Aspirations: Western
Scholars in China and the Navigation of Aspirational Possibilities. In: Journal
of Ethnic and Migration Studies vom 13. Mai 2020.
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Hinzu kamen weitere Irritationen: die Wachstumsschmerzen, die für
neue Institutionen nicht untypisch sind; frisch angeworbene Kolleginnen
und Kollegen, die gleich wieder in Richtung attraktiverer Positionen verschwanden; Programme, die rasch wieder eingingen; Beschwerden von Studierenden über mangelnde Orientierung; Einrichtungen, die geplant wurden, sich aber nie materialisierten. Nichts hatte mich auf die phänomenale
Expansion der Universität vorbereitet, auf das »Shenzhen-Tempo«, so der
inzwischen gängige Begriff für die verblüffende Entwicklung des »chinesischen Silicon Valley«.
Im Vergleich mit alten Städten wie Beijing (vor dreitausend Jahren gegründet) oder Shanghai (das seit dem 13. Jahrhundert unserer Zeitrechnung als Stadt existiert) ist Shenzhen ein richtiges Baby. Es war zunächst
ein kleines Fischerdorf, bis es in den 1980er Jahren zur »Sonderwirtschaftszone« erklärt wurde, also einer Stadt, der das Regime ökonomische Freiheit
gewährte. Shenzhen untersteht nicht dem direkten Diktat der Zentralregierung in Beijing – »Die Berge sind hoch, und der Kaiser ist fern« lautet ein
traditionelles chinesisches Sprichwort – und ist so tatsächlich eine Megacity
der grenz- und regionenüberschreitenden Kapital- und Warenflüsse. Diese
Megacity hat sich aus dem beständigen Experimentieren mit möglichen
Zukünften herausgemendelt. Sie lässt sich als eine Art Apotheose des
Cyberpunk-Science-Fiction-Subgenres begreifen, in dem gegenkulturelle
Antihelden in entmenschlichten durchtechnisierten Welten unterwegs sind.
Ähnlich wie die dystopischen Settings solcher Romane bildet Shenzhen eine
Art liminale Zone, eine Grenzregion zwischen West und Ost (in diesem Fall
China und Hongkong). Giganten der Tech-Industrie, etwa Huawei und ZTE
oder das Internet-Unternehmen Tencent, sind in Shenzhen beheimatet, daneben auch eine Unmenge umtriebiger Hacker, Investoren und Tüftler.
Wer sich durch eines der wenig einladenden tech-zentrierten Viertel
bewegt, kann sich vorkommen, als sei er mitten in William Gibsons Neuromancer gelandet: In Shenzhen werden die nächtlichen Neonlichter in den
zahlreichen Wolkenkratzern, die Dominanz der Computer- und Chip-Industrie, die furchtbare Kluft zwischen Arm und Reich, die moralische Ambiguität des globalisierten Kommerzes und die schwindende Bedeutung des
Westens – in Gibsons Worten – »konsensuell halluziniert«. Die Neuromancer-Welt von 1984 basierte zu großen Teilen auf Tokyo, aber die Tatsache,
dass Shenzhen sich etwa zeitgleich mit der Entstehung von Cyberpunk zur
Sonderwirtschaftszone entwickelte, ist sicher kein reiner Zufall. Gibsons
fiktionale, matrix-artige Zukunft der achtziger Jahre ist real, nicht nur auf
der gedruckten Seite, sondern inzwischen auch im Shenzhen des 21. Jahrhunderts, der Spitze des chinesischen Neoliberalismus.
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Ähnlich wie einst die Ausweitung der Sklaverei den USA dazu verhalf, die
zweitgrößte Industriemacht des 19. Jahrhunderts zu werden, hat eine »besondere Institution« die Expansion Chinas befördert und die Nation – insbesondere die »Greater Bay Area« – in die megalopolitane Zukunft befördert: das Hukou-System, in dem jeder einzelne Haushalt, jedes Individuum
als Einwohner einer Region registriert wird. Man bekommt damit Zugang
zu sozialen Einrichtungen, das System verhindert jedoch zugleich die freie
Bewegung von Menschen zwischen den Regionen. Vor allem beraubt es die
Wanderarbeiter ihrer Rechte: Dazu haben Wissenschaftler wie Leslie Chang
(zu Wanderarbeiterinnen in den Fabriken), Jason Young (zu den institutionellen Barrieren, die das Hukou-System erzeugt), Pun Nigai (zur Soziologie
der Arbeit, insbesondere zu Bauarbeiterinnen) und andere einiges an Forschung geleistet.5 Auch die chinesische Regierung hat dazu Untersuchungen
in Auftrag gegeben, beharrt aber darauf, dass Bildung der Weg zur Lösung
dieses Problems sei.
Aber ganz unabhängig von der politischen Einstellung: Es steht außer
Frage, dass diese Form der Arbeit – vor kurzem wurden Lager für Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter gleich gegenüber meinem Wohnblock
errichtet – zu nicht geringen Teilen verantwortlich ist für das bemerkenswerte Wachstum von Shenzhen und anderen Städten. Und es fällt schwer zu
glauben, dass es wirklich ernsthafte Anstrengungen gibt, an diesem System
tatsächlich etwas zu ändern. Der Widerspruch zwischen dem behaupteten
Kommunismus in China und der Behandlung seiner ärmsten Arbeiter lässt
sich nicht ignorieren, und ich empfinde ihn als schwere Belastung. Hinter
der schimmernden Fassade der glorreichen Zukünfte, die von Shenzhen
aus erstrahlen, liegen die ausgebeuteten und zerstörten Körper der Wanderarbeiter. »Wenn ich an die Antike denke«, schrieb George Orwell 1942,
»ist das Detail, das mich wirklich erschüttert, die Tatsache, dass von den
Leben jener Hunderten von Millionen Sklaven, auf deren Rücken die Zivilisation Generation für Generation ruhte, nicht die kleinsten Zeugnisse
bleiben.«6 Manchmal melden sich die chinesischen Arbeiter doch zu Wort,
aber solche Proteste werden von der Polizei oder der Unternehmensleitung
rasch beseitigt. So hat eine Gruppe von Bauarbeitern im Frühjahr 2016 ganz
Leslie T. Chang, Factory Girls. From Village to City in a Changing China. New
York: Spiegel & Grau 2009; Jason Young, China’s Hukou System. Markets,
Migrants and Institutional Change. Basingstoke: Palgrave Macmillan 2013; Pun
Ngai, Made in China. Women Factory Workers in a Global Workplace. Durham:
Duke University Press and Hong Kong University Press 2005.
6 George Orwell, Looking Back on the Spanish War. In: Ders., Homage to Catalonia
& Looking Back on the Spanish War. London: Macmillan 2021.
5
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in der Nähe des Campus mit einem Banner gegen die Arbeitsbedingungen
auf einer Baustelle protestiert. Nach weniger als zwei Tagen war das Banner
verschwunden.
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Gegenwärtige Zukünfte II
Dass ich mich wieder intensiver mit der Frage beschäftigte, was mir die
Werte der europäischen Aufklärung eigentlich bedeuten – die von Intellektuellen und Uni-Leuten während der Trumpov-Jahre plötzlich überall auf der
Welt mit größter Entschiedenheit verteidigt wurden –, hatte allerdings eher
mit dem akademischen Alltag zu tun. »In China«, stellt Wang Hui fest, »blicken die Geisteswissenschaften auf eine lange und reiche Tradition zurück,
als eigenständige akademische Disziplinen haben sie sich jedoch erst vor
relativ kurzer Zeit formiert.« Allerdings standen die Humanities noch lange,
nachdem es ihnen gelungen war, sich an den Universitäten zu etablieren, in
aller Regel im Schatten der Naturwissenschaften, mit denen sie es weder im
Hinblick auf die öffentliche Aufmerksamkeit noch auf die finanzielle Ausstattung aufnehmen konnten. Dass das Land derzeit ausgerechnet in dieses
wissenschaftliche Feld großzügig investiert, zeugt also von einer bemerkenswerten bildungspolitischen Neuausrichtung.
In welcher Absicht dieser Kurswechsel betrieben wird, ist allerdings
schwer zu sagen. Als studierter Historiker gehöre ich der Abteilung für
»General Education« an, die nach dem Vorbild der Universität Hongkong
geschaffen wurde und die Geistes- wie auch die Gesellschaftswissenschaften
unter ihrem Dach versammelt. In pädagogischer Hinsicht geht es dabei eher
um Breite als um Tiefe. Für ein geisteswissenschaftliches Grundstudium im
klassischen Sinn kann diese Ausrichtung in vieler Hinsicht durchaus förderlich sein. Nun würde man von einer Institution, die ein »kleines« Examen
im Fach Philosophie anbietet – ein analoger Abschluss in den Geschichtswissenschaften wird demnächst folgen –, allerdings erwarten, dass sie damit
eine Basis für umfassendere Studieninhalte und »tiefere« Curricula legen
möchte. Tatsächlich tappen wir an den Fakultäten angesichts der Frage, welche Studienziele langfristig welche Rolle spielen sollen, jedoch weitgehend
im Dunkeln. Fachpolitische Entscheidungen erfolgen größtenteils von oben
nach unten, und ihr Zustandekommen ist überdies intransparent.
Wer wie ich aus dem Universitätsbetrieb der Vereinigten Staaten kommt,
kann über die Unterschiedlichkeit der institutionellen Gepflogenheiten nur
staunen. Vieles, was auf den ersten Blick nach intellektuellem Fortschritt
aussieht, hat damit in Wahrheit wenig zu tun. Über die Studienfelder und
Forschungsprogramme, die sich an den amerikanischen geisteswissen-
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schaftlichen Fakultäten seit den 1970er Jahren rasant ausdifferenziert und
vervielfältigt haben, wacht und bestimmt in China das Bildungsministerium,
das gilt auch für Shenzhen.
Sobald ich mit Kollegen über meine Arbeit spreche, egal ob in den USA,
Europa oder China, werde ich unausweichlich mit der Frage konfrontiert,
in welchem Maß die Kommunistische Partei auch den akademischen Diskurs kontrolliert. Meine Antworten ändern sich je nach den Umständen,
mit denen ich gerade konfrontiert bin – was ich zum Thema intellektuelle
Unabhängigkeit sagen kann, hängt mit einer Gegenwart zusammen, deren
Konturen sich mit Blick auf eine fluide, nie wirklich fassbare Zukunft fortwährend auflösen. Während meiner ersten Jahre in Shenzhen bekam ich
von staatlicher Überwachung oder anderen Eingriffen schlicht nichts mit.
Gesprächspartner aus Amerika, ob sie nun in den USA oder in China tätig
sind, überrascht das regelmäßig. Über direkte und auch indirekte Kontrollversuche wird eigentlich ständig gesprochen (und zwar keineswegs nur in
Bezug auf China – an US-Universitäten stößt man auf Formen der Selbstzensur, die die Diskursfreiheit einschränken und den Meinungsfluss weg von
Feldern lenken, die die KP Chinas beunruhigen könnten).
Die Autonomie, die ich zunächst genoss, ist in der Tat erstaunlich. Im
Sommersemester 2017 etwa war ich für den Kurs »World History« zuständig. Im Lauf der Veranstaltung kam ich auch auf die Proteste von 1989 am
Tiananmen-Platz zu sprechen, zeigte den Studierenden ein Foto der monumentalen Freiheitsstatue, die die Aktivisten damals dort errichtet hatten
und die von chinesischen Soldaten zerstört wurde (eine Kopie davon kann
man noch immer auf dem Hauptcampus unserer Universität in Hongkong
besichtigen), ja, ich führte ihnen sogar das legendäre CNN-Video »Man vs.
Chinese tank« vor. Dass ich meine eigene Positionierung dabei ausdrücklich
offengelegt habe – als Historiker aus den USA bin und bleibe ich, bei allem
Willen zu größtmöglicher Aufgeschlossenheit, letztlich doch westlichen
Idealen verpflichtet –, trug meiner Beobachtung nach maßgeblich dazu bei,
ein Klima zu schaffen, in dem die Studierenden offen über für sie heikle
Themen diskutieren konnten.
Seither hat sich mein Glaube an derart berauschende Freiheiten allerdings deutlich abgekühlt. Er wich zunächst dem Gefühl der Verwirrung,
später dem der Enttäuschung. Es gab Momente, da hatte ich den Eindruck,
Marx’ berühmte Sätze aus dem Kommunistischen Manifest von 1848 seien
ausdrücklich für mich und meine Erfahrungswelt zu Beginn des 21. Jahrhunderts geschrieben worden: »Alle festen, eingerosteten Verhältnisse
mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen
werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können.
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Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und
die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.«
Ein Beispiel: Das ehedem zuverlässige VPN-Netzwerk, das es seinen Benutzern auf dem Campus erlaubt, die beeindruckenden Zensurtechnologien der chinesischen Regierung beim Zugriff auf das Internet zu umgehen
(scherzhaft »The Great Firewall« genannt), verhält sich seit einiger Zeit
merkwürdig. In diesem Frühjahr etwa konnte ich längere Zeit hindurch
auf eine ganze Reihe von amerikanischen Nachrichtenseiten nicht mehr zugreifen. Während der Feierlichkeiten zum hundertsten Gründungsjubiläum
der Kommunistischen Partei ließ sich dann vorübergehend überhaupt kein
Zugang zu westlichen digitalen Kanälen mehr herstellen. (Leider scheint
diese Form des staatlich verordneten Internet-Blackouts auch anderswo
auf der Welt Schule zu machen.)7 Viele Kollegen haben überdies wie ich
das Gefühl, dass man in Lehrveranstaltungen, Gesprächen oder auch beim
Chatten über das Smartphone zunehmend mit dem Phänomen der Selbstzensur konfrontiert ist. Dass die Proteste von 2019 und 2020 gegen das von
der Regierung Hongkongs geplante Auslieferungsgesetz in der Besetzung
des dortigen Campus unserer Universität gipfelten, hat all den netten, properen Geschichten über Fortschritt und Entwicklung in Shenzhens »Greater
Bay Area«, wie sie die Partei verbreitet, den Boden entzogen.
Das rasante Hin und Her zwischen ungehindertem Informationszugang
und willkürlicher Blockade verursacht eine Art intellektuelles Schleudertrauma. »So wenig Regierung wie nötig, so viel Freiheit wie möglich«, der
klassische Slogan des amerikanischen Liberalismus, gewinnt unter diesen
besonderen Umständen selbst für Parteigänger der Linken einen verlockenden Klang. Ich habe oft den Impuls verspürt, in irgendeiner Form öffentlich
auf diese Eingriffe in die Meinungs- und Diskussionsfreiheit zu reagieren,
die doch schließlich den Kern des akademischen Lebens ausmachen. Die Berichterstattung der internationalen Medien über die Auseinandersetzungen
auf dem Campus in Hongkong zu verfolgen, war schmerzhaft. Auf dem
Campus in Shenzhen herrschte damals eine derart gespenstische Stille, dass
man eine Nadel auf den Boden hätte fallen hören können.
Dass die Studienanfänger dieses Jahres gezwungen sein werden, einen
Kurs in marxistischer Ideologie zu besuchen, während die Pressefreiheit in
7
»Deliberate internet blackouts by authorities have been recorded as far back as
2005.« Charlotte Mitchell, Internet blackouts: The rise of government-imposed
shutdowns. In: Aljazeera vom 16. Juni 2019 (www.aljazeera.com/features/2019/6/16/
internet-blackouts-the-rise-of-government-imposed-shutdowns).
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Hongkong immer weiter beschnitten wird, macht mir emotional wie intellektuell zu schaffen, und zwar nicht nur in Bezug auf meine Situation hier,
sondern auch mit Blick auf mein früheres Leben in den USA. (Ich schreibe
das, während Hunderte von Polizisten die Redaktionsräume von Apple Daily, einer prodemokratischen Zeitung aus Hongkong, durchsuchen, deren
Arbeit angeblich gegen nationale Sicherheitsgesetze verstößt.)8 Als Jacques
Derrida kurz vor 9/11 in Beijing lehrte, sprach er von der Universität als einem Ort, an dem es möglich sein müsse, uneingeschränkt zu widersprechen
und anders zu sein.9 Ich frage mich: Ist das ein eurozentrisches Konzept?
Und angesichts dessen, was in Ungarn mit der Central European University
passiert ist: Ist es womöglich schon nicht einmal mehr eurozentrisch?
Adagio molto: Die Zeit steht still
Im Februar 2020 bereitete ein abrupter Wechsel der Lebensbedingungen
in Shenzhen unserer intensiven Beschäftigung mit den Science-Fiction-artigen gegenwärtigen Zukünften der Stadt ein Ende. Schon im Januar waren
Gerüchte über den Ausbruch eines neuartigen Corona-Virus im zentralchinesischen Wuhan durchgesickert. In Shenzhen, das die Epidemie erst
nach dem chinesischen Neujahrsfest, also Mitte Februar, erreichte, sorgte
sie für vollständigen Stillstand auf den unzähligen Baustellen und stoppte jedwede »Entwicklung«. Der Verlust der Vision einer großartigen, unmittelbar bevorstehenden Zukunft verwandelte Shenzhens geschichtslose
Gegenwart in ein trübes Einerlei, in dem die Tage breiig ineinanderflossen.
Dass der Campus in dieser Zeit nahezu menschenleer war, verstärkte den
Eindruck vollständiger Stagnation nur noch. Fast alle anderen Angestellten
und Studierenden waren verschwunden, während ich über Monate nicht
aus Shenzhen wegkam. Ich war es gewohnt, dass die Chinesen zum Jahreswechsel nach Hause fuhren, während die Ausländer häufig auf Reisen waren.
Diesmal aber kamen weder die einen noch die anderen zurück. Einige aus
meinem amerikanischen Kollegenkreis waren in Taipeih gefangen, wo sie
zehn Monate und länger verbringen sollten. Die Rahmenbedingungen unserer aller Existenz hier hatten sich verändert, und als aus der chinesischen
Die Zeitung konnte dem Druck nicht standhalten und stellte ihr Erscheinen kurz
darauf ein. Apple Daily: Hong Kong pro-democracy paper announces closure. In:
BBC News vom 23. Juni 2021 (www.bbc.com/news/world-asia-china-57578926).
9 Jacques Derrida, The future of the profession of the university without condition
(thanks to the »Humanities,« what could take place tomorrow). In: Tom Cohen
(Hrsg.), Jacques Derrida and the Humanities. A Critical Reader. Cambridge University Press 2002.
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Epidemie eine Pandemie wurde, fühlte es sich so an, als wäre die Geschichte
aus Shenzhen geflohen, um stattdessen anderswo ihren Lauf zu nehmen.
Angesichts dieser für mich neuen Erfahrung einförmigen Stillstands musste ich an Hans Ulrich Gumbrechts Reflexionen über die Unvorhersehbarkeit
des zeitgenössischen Lebens denken und die zunehmenden Gefährdungen,
denen es ausgesetzt ist, die den »Chronotyp« der »breiten Gegenwart« hervorgebracht hätten. Im Zeichen dieser Zeiterfahrung steht die Zukunft
nicht mehr für den Ausblick auf die grenzenlose Fülle des Möglichen, sie
sorgt vielmehr zunehmend für eine Verengung des Horizonts. Dabei legen
sich Szenarien wie die globale Klimakatastrophe oder die Aussicht auf finale nukleare oder auch nur endlose »konventionelle« Kriege wie Mehltau
aufs Gemüt.10 Zugleich flutet die Vergangenheit in die Gegenwart hinein
wie ein uferlos sich ausbreitender Ozean aus einander durchdringenden,
überschneidenden, sich die Geltung wechselseitig streitig machenden Erzählungen, Tatsachen und Ereignissen, denen man nicht ausweichen, über
die man aber auch nicht einfach hinwegsehen kann. Zu den kulturellen und
intellektuellen Konsequenzen dieser breiten Gegenwart gehören unter anderem: ein Nachlassen von Tatkraft und planerischen Energien, der Verlust
des Glaubens an Fortschritt und übergreifende historische Narrative; ein
zunehmendes Gefühl der Erschöpfung, ja der Verzweiflung über unsere Unfähigkeit, uns und die uns umgebende Welt zu verändern.
Letztlich stellt ein solches in der Gegenwart gefangenes Zeitempfinden
die philosophischen Grundprämissen der Aufklärung infrage und damit zugleich die Fundamente eines jeden liberalen Politikverständnisses.
Während der Frühjahrsmonate des Jahres 2020 half mir das Konzept des
Chronotyps der breiten Gegenwart, meine Erfahrungen während des Lockdowns in Shenzhen einzuordnen. Die extreme Verlangsamung des Lebens,
die für all diejenigen damit einherging, die wie ich am Campus zurückgeblieben waren, bot ja die Chance, in Ruhe über unsere Situation und unsere Umgebung nachzudenken. Oder mit Yves Bonnefoy gesprochen: »Simple
te soit l’écoute! Le silence | | Est un seuil […]«.11
Als aber im August die Studierenden und die Mitarbeiter der Fakultät
dann allmählich zurückkehrten, verschob sich der Fokus meiner Aufmerksamkeit wieder, und auch das Denken in historischen Kategorien war zu-
Hans Ulrich Gumbrecht, Die Gegenwart wird (immer) breiter. In: Merkur, Nr.
629/630, Sept./Okt. 2001.
11 Yves Bonnefoy, »Passant, ce sont des mots …«. In: Ders., Second Simplicity: New
Poetry and Prose, 1991–2011. Selected, translated, and with an introduction by
Hoyt Rogers. New Haven: Yale University Press 2011.
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rück, wenn auch in einer durch die jüngsten Ereignisse modifizierten Form.
Setzt China seither denselben Kurs fort wie vor der Pandemie? Oder ist es
in ein neues Zeitalter eingetreten? Werden weiterhin so viele westliche Akademiker nach China abwandern? Oder werden Einreisebeschränkungen das
künftig verhindern? Wird die »Greater Bay Area« zusammenwachsen und
die strahlende megalopole Zukunft, die sie ständig verspricht, Gegenwart
werden lassen?
Es ist schwer, auf diese Fragen befriedigende Antworten zu geben. Ich
weiß im Moment nur, dass die Intensivierung der staatlichen Zensur und
das gestiegene Maß an Propaganda und Nationalismus, mit dem man nicht
nur von offizieller Seite konfrontiert wird, sondern das einem auch in alltäglichen Gesprächen begegnet, meine Situation hier verändert haben. Womöglich dreht sich mein neu erwachter Wunsch, diese Fragen überhaupt zu
stellen, um ein sanftes Paradox: Entweder beginnt das für Shenzhen bislang
so typische historische sfumato sich allmählich aufzulösen oder ich habe
mich mittlerweile schlicht daran gewöhnt. Welche der beiden Antworten die
richtige ist, wird sich wohl erst nach einer ordentlichen Dosis postpandemischer »neuer Normalität« herausstellen.
Aus dem Englischen von Christian Demand und Ekkehard Knörer
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