Die Rose von Ernstthal
Von Karl May
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Über dieses E-Book
Karl May
Karl Friedrich May (25.02.1842–30.03.1912) war ein weltweit erfolgreicher, deutscher Autor von Abenteuergeschichten und historischen Erzählungen. Er war sehr produktiv, sein Werk umfasst Hunderte von Fortsetzungsromanen, Novellen und Geschichten. Er ist einer der am häufigsten übersetzten deutschen Schriftsteller. Die weltweite Auflage seiner Werke wird auf 200 Millionen geschätzt, davon 100 Millionen in Deutschland (Stand 2015). Bekannt wurde er vor allem durch seine Reiseerzählungen, die vorwiegend im Orient, in den Vereinigten Staaten und in Mexiko Ende des 19. Jahrhunderts spielen. Besondere Berühmtheit erlangten die Geschichten um den Indianerhäuptling Winnetou. Viele seiner Werke wurden verfilmt.
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Buchvorschau
Die Rose von Ernstthal - Karl May
Eine Geschichte aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts
Karl Mays Früherzählung Die Rose von Ernstthal erschien erstmals im November 1874. In: Deutsche Novellen-Flora. Sammlung der neuesten, fesselndsten Romane und Novellen unserer beliebtesten Volksschriftsteller der Gegenwart. Neusalza, Verlag von Hermann Oeser. Zur Datierung: Am 18. August 1874 wurde die »Deutsche Novellen-Flora« in das Register »Anzeige, die Zeitschriften betreffend« beim Gerichtsamt Neusalza eingetragen. Es kann als sicher gelten, daß die Nummer 1 der Novellen-Flora bereits gedruckt war und den Behörden zur Ansicht vorgelegt wurde. Man strebte offensichtlich für den Start des Lieferungswerkes (24 Nummern umfaßte das Werk, geplant waren zunächst jährlich 20 Lieferungen) die erste Septemberwoche an. Somit erschien die erste Lieferung am Samstag (dieser Wochentag war damals allgemein üblich), den 29. August 1874. Jede Lieferung erschien in zwei Bogen zu je 8 Seiten, also insgesamt nur 16 Seiten mit Texten verschiedener Autoren, deren Erzählungen durch das obligate »Fortsetzung folgt« unterbrochen waren. Diese Art der Veröffentlichung verlangte ein regelmäßiges, wöchentliches Erscheinen, wenn man keinen Abonnentensprung (damaliger Fachbegriff für das Einbüßen von Abonnenten) riskieren wollte. Folglich erschien Die Rose von Ernstthal (Lieferung 11-14) im November 1874 und nicht, wie Hainer Plaul vermutet, im April und Mai 1875. Für seine Datierung war das »Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel« ausschlaggebend. Erst im April 1875 wurden dort die ersten 10 Lieferungen der Novellen Flora
vermerkt. Man muß berücksichtigen: Viele Verlagsunternehmen versäumten damals deutschlandweit die pünktliche Anzeige ihrer Veröffentlichungen. Beispielsweise erschienen auch die »Frohen Stunden« (Verlag Bruno Radelli, Dresden) mit diversen May-Erzählungen ein halbes Jahr eher als bei Plaul angegeben; dies belegen eindeutig zeitgenössische Berichterstattungen (Eröffnung der Semperoper etc.) in dem von May redaktionell 1877/78 betreuten Unterhaltungsblatt.
Die Wiedergabe der Rose von Ernstthal erfolgt in der damaligen Rechtschreibung. Anzumerken ist, daß Karl May diese Erzählung 1880 stilistisch überarbeitet in dem Hausblatt »All-Deutschland!« erneut veröffentlichte. Wir haben uns hier für die Originalfassung entschieden, weil dieser Erzähltext die erste noch vorhandene größere Veröffentlichung Mays überhaupt ist. Viele der für die May-Forschung so wichtigen Zeitschriften aus den 1860er Jahren gelten heute als verschollen.
Die Rose von Ernstthal
Zwischen den Ausläufern des sächsischen Erzgebirges, da, wo das berühmte Zwickauer und Würschnitzer Kohlenbecken sich bis in die Nähe von Chemnitz zieht, liegen am nördlichen Rande desselben die beiden Schwesterstädte Hohenstein und Ernstthal, welche dem freundlichen Leser ihres Gewerbfleißes wegen gewiß bekannt sein werden. Besonders ist es Ernstthal, dessen Weberei schon vor langen Zeiten sich eines weitgehenden Rufes erfreute und für seine Waaren nicht blos in Deutschland und den angrenzenden Ländern, sondern auch über die See hinüber ein weites Absatzgebiet fand.
Aber der Webstuhl vermag der Hand auch des fleißigsten Arbeiters keine Reichthümer zu bieten, und so schmiegt sich das arme Städtchen klein und bescheiden an die Thalsenkung, welche das Auge des Touristen nicht durch landschaftliche Schönheiten zu fesseln vermag und keinen andern Ruhm beansprucht als den, der friedliche Tummelplatz eines rührigen und genügsamen Völkchens zu sein.
Bei diesem angestrengten Ringen mit den nackten Sorgen des Lebens mag wohl die Nüchternheit desselben mehr in Anschauung treten; doch weht uns nicht, wie man behauptet hat, der Hauch der Poesie nur aus Romanen und solchen Ereignissen entgegen, welche sich auf dem glatten Spiegel des Parquets oder von der Natur bevorzugtem Boden entwickeln, sondern grad in den Pausen des großen Kampfes, welchen wir Arbeit nennen, wenn der Mensch sich den Schweiß von der erhitzten Stirn streicht und Hammer und Spaten bei Seite legt, läßt sich jener beseligende Odem kühler und würziger empfinden, und der dichtende Gott kehrt ein selbst in die ärmlichste Hütte.
Mag also der Leser getrost die Gassen Ernstthal's betreten oder an der Hand unserer Erzählung den Fuß nach einer halbverschütteten Höhle oder einem einsamen und primitiven Waldhäuschen lenken; sind auch keine welterschütternden Begebenheiten zu berichten, so wird ihn doch die wohlthuende Erfahrung anmuthen, daß der Hauch des Himmels die Blüthenflocken der Poesie auch in die entlegenen Winkel trage, an welchen die gewaltige Fluth der Geschichte nur fern vorüberrauscht.
Es war ein goldener, sonniger Julimorgen. Längst schon hatte die Feuchtigkeit des nächtlichen Thaues den Weg zum Aether gefunden; die Wärme des Tages wallte sichtbar um die braunen Stengel der noch blüthenlosen Erika und erquickender Duft fluthete durch die Zweige des stillen, geheimnißvollen Waldes.
Die Vögel, ermüdet durch die Morgenabtheilung ihres täglichen Concertprogrammes, saßen sinnend unter dem grünen Plafond, durch dessen Oeffnungen sich das Licht in zauberischen Tönen brach; der Bach murmelte sein ewiges, einschläferndes Schlummerlied, und Meister Specht, der Zimmermann, saß ruhend im Astloche und verdaute die Larven, welche er sich zum Gabelfrühstücke mit listigem Pochen aus den Rindenritzen hervorgelockt hatte. Drüben, zwischen den Wurzeln eines Pulverholzstrauches, reckten vier junge, flaumige Rothkehlchen die gelben Schnäbel in die Höhe und hielten mit der geschäftigen Frau Mama lebhafte Zwiegespräche über Speise- und Wirthschaftsangelegenheiten, der Papa aber saß auf dem obersten Zweige und gab sein Vaterglück durch die zartesten Aphorismen kund.
Mit diesen gefühlvollen »Sangesperlen« harmonirten nun freilich die zweifelhaften Töne nicht, welche diesseits des Baches aus der Vertiefung hervordrangen, welche unter dem Namen der »Eisenhöhle« in der Umgegend Ernstthal's bekannt ist.
»Ah .... ah! Das nenne ich schlafen; es muß schon wieder Nacht sein. Ah .... ah. Doch nein; dort fällt ja das Tageslicht auf die Moostapeten meines Boudoirs; es ist also heller Tag. Aber wie komme ich denn eigentlich in diese gastfreundliche Eremitage? Ah .... ah! Ach so, jetzt besinne ich mich: Großes Gewitter gestern; verirrte mich; lief bei stockfinsterer Nacht und strömendem Regen im Walde herum und fand endlich dieses Asyl, in welchem ich mich sofort häuslich niedergelassen und geschlafen habe bis Anno jetzt.«
Er erhob sich von dem harten, steinigten Boden, ergriff das Felleisen, welches ihm als Kopfkissen gedient hatte, und trat vor den Eingang der Höhle.
»Guten Morgen, Du lieber, schöner, grüner Wald! Schüttelst zwar Dein immer junges, hundertköpfiges Haupt mißbilligend über den faulen, schlaftrunkenen Kumpan, der ich heut bin, bietest mir aber doch Waschgeschirr und Morgentrunk in altgewohnter, fürsorglicher Weise. Hab Dank für diese Aufmerksamkeit, Du alter, treuer Spezial Du!«
Er nahm Handtuch und Seife aus einer Seitentasche des Felleisens und trat an das Wasser, um sich zu waschen. Bei dieser Gelegenheit können wir uns den noch jungen Mann etwas näher betrachten.
Die Kleidung eines gewöhnlichen Handwerksburschen, welche er trug, hatte durch den Gewitterregen, die Irrfahrt im Walde und das Nachtlager auf den Steinen bedeutend gelitten.