Sprachliche Variation
Von Florian Busch und Christian Efing
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Aptum, Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur 19. Jahrgang, 2023, Heft 2+3: Themenheft: Krieg in der Ukraine. Essayistische Notizen zum Diskurs Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
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Buchvorschau
Sprachliche Variation - Florian Busch
1 Einleitung
Und wenn ich ‚Frikadellen‘ sage, so begreift sie es nicht, denn es heißt hier ‚Pflanzerln‘; und wenn sie ‚Karfiol‘ sagt, so findet sich wohl nicht so leicht ein Christenmensch, der darauf verfällt, dass sie Blumenkohl meint; und wenn ich sage ‚Bratkartoffeln‘ so schreit sie solange ‚Wahs!‘ bis ich ‚Geröhste Kartoffeln‘ sage, denn so heißt es hier, und mit ‚Wahs‘ meint sie ‚Wie beliebt‘. (Thomas Mann, Buddenbrooks)
Mit diesen Worten beklagt sich Tony Buddenbrook in Thomas Manns Gesellschaftsroman bei ihren Eltern über ihre Münchner Köchin (vgl. auch Neuland 2006a: 9). Der Sprachgebrauch der süddeutschen Bediensteten erscheint der aus dem norddeutschen Lübeck stammenden Tony nicht nur fremd, sondern stellt die alltägliche Kommunikation offenbar auch auf die Probe. Dass ein und dieselbe Sache dort Blumenkohl und hier Karfiol heißen kann, nimmt Tony als Störung im reibungslosen kommunikativen Ablauf wahr, der doch durch die gemeinsame Beherrschung einer Sprache, nämlich des Deutschen, sichergestellt sein sollte – oder nicht?
Tatsächlich ist der Umstand, dass Sprecher:innen denselben Inhalt mit unterschiedlichen sprachlichen Mitteln ausdrücken, alles andere als ungewöhnlich. In der Sprachwissenschaft bezeichnen wir diese Eigenschaft aller natürlicher Sprachen als sprachliche Variabilität. Wird von diesem Potenzial Gebrauch gemacht, haben wir es mit sprachlicher Variation zu tun. Ob jemand die Variante Blumenkohl oder die Variante Karfiol nutzt, geht nicht mit unterschiedlichen referenziellen Bedeutungen einher (gemeint ist stets das Gemüse), sondern gibt vor allem über die regionale Verortung der Sprechenden Aufschluss. Beide Varianten sind also Ausprägungen einer gemeinsamen Variable, die je nach regionaler Sprechweise unterschiedlich realisiert wird: Während in den meisten Regionen Deutschlands sowie in der Schweiz vom Blumenkohl die Rede ist, nutzt man in Bayern und in Österreich auch die Variante Karfiol.
Welche Varianten von Sprecher:innen gewählt werden, ist dementsprechend nicht zufällig verteilt, sondern korrespondiert mit außersprachlichen Faktoren. Die Region ist dabei nur eine unter vielen möglichen außersprachlichen Dimensionen, mit denen wir sprachliche Variation im alltäglichen Sprachgebrauch erklären können. Variation kann in dieser Weise auch Rückschlüsse auf die Kommunikationssituation (eher formell oder eher informell), das genutzte Medium (gesprochen oder geschrieben) oder auch soziale Zugehörigkeiten zulassen (beispielsweise zu einer Alters- oder Berufsgruppe, einem Freundeskreis oder auch einer Subkultur). Zudem können wir Variation entlang der Zeit beobachten: Wie wir gegenwärtig Deutsch sprechen, unterscheidet sich zum Beispiel erheblich vom Sprachgebrauch deutschsprachiger Menschen aus dem 19. Jahrhundert. Auch Sprachwandel ist in diesem Sinne ein Phänomen sprachlicher Variabilität.
Weiterhin können wir feststellen, dass sich sprachliche Variation nicht bloß auf lexikalische Variation wie Blumenkohl vs. Karfiol beschränkt, sondern dass sie alle sprachstrukturellen Ebenen durchzieht. Wir finden im Deutschen:
Aussprachevariation (beispielsweise artikulieren einige Sprecher:innen ein gerolltes Zungen-R, während andere ein Zäpfchen-R gebrauchen),
Schreibvariation (beispielsweise
morphologische Variation (beispielsweise wählen wir manchmal eine lange und manchmal eine kurze Genitivendung, z. B. des Buches oder des Buchs) und auch
syntaktische Variation (z. B. die Variante der Distanzstellung von Pronominaladverbien im norddeutschen Sprachgebrauch: da kann man einiges mit erreichen vs. damit kann man einiges erreichen).
Zudem können wir pragmatische Variation beobachten (etwa hinsichtlich der Frage, wann eine Anrede per Du oder per Sie gewählt wird – und ab welchem Moment man jeweils geneigt ist, vom Sie zum Du zu wechseln).
Wer sich mit Phänomenen wie diesen beschäftigt, erkennt schnell: Variation ist kein exotischer Störfall von Sprache, sondern vielmehr ihr Normalfall. Entsprechend ist auch die Idee, wir könnten ‚das Deutsche‘ als homogene Sprache sprechen, unterrichten oder sprachwissenschaftlich beschreiben, zum Scheitern verurteilt. In der Sprachwirklichkeit begegnen uns stattdessen Varietäten und Stile des Deutschen – also spezifische Sprech- und Schreibweisen, die sich aus einem gemeinsamen Auftreten bzw. einer bestimmten Konstellation von verschiedenen Variablenausprägungen ergeben und die wir nur unter Einbezug ihrer kommunikativen Kontexte erklären können.
Die Beschäftigung mit sprachlicher Variation ist daher auch immer eine Beschäftigung mit dem Verhältnis von Sprache und Gesellschaft. Die sprachwissenschaftliche Disziplin, die sich dieser wechselseitigen Beziehung annimmt, ist die Soziolinguistik. Ihr geht es darum, herauszuarbeiten, wie sprachliche Variation einerseits aus gesellschaftlichen Bedingungen hervorgeht, anderseits aber auch selbst Mittel von Sprecher:innen ist, soziale Wirklichkeit zu konstruieren. In letzterer Perspektive wird sprachliche Variation dann nicht als etwas gefasst, dem Sprecher:innen aufgrund ihrer sozialen Position ausgeliefert wären, stattdessen steht die stilistische Funktion sprachlicher Variation im Fokus (etwa wenn jemand nur in ganz bestimmten Situationen bestimmte regionale Aussprachevarianten verwendet, um sich zum Beispiel als Repräsentant:in einer Region erkennen zu geben).
Wie wir an der eingangs zitierten Klage Tony Buddenbrooks außerdem gesehen haben, ist sprachliche Variation in besonderem Maße geeignet, Sprachreflexion anzuregen. Variation hat das Potenzial, Sprecher:innen bewusst zu werden. Einerseits neigen Sprecher:innen dann dazu, nach Erklärungen für das Nebeneinander von Varianten zu suchen, andererseits geht die metasprachliche Beschäftigung meist auch mit der Bewertung von Varianten einher. Durch ihr Sprechen über Variation zeigen Menschen ihre Spracheinstellungen an, indem sie etwa eine bestimmte Variante oder auch ganze Varietäten vielleicht als ‚(un-)höflich‘, ‚(un-)sympathisch‘, ‚gebildet‘ oder ‚dümmlich‘ wahrnehmen und beschreiben. Auch die Frage, ob eine Variante für einen bestimmten situativen Kontext als ‚angemessen‘ oder ‚unangemessen‘ gilt, kann in dieser Weise von den Sprecher:innen reflektiert und metasprachlich artikuliert werden. Referenzpunkt für solche Bewertungen ist dabei häufig der eigene Sprachgebrauch – so auch in Tonys Beschwerde über ihre Münchner Köchin: Dass unter anderem Karfiol als markierte, auffällige Form genannt wird, über die Tony den Kopf schüttelt, ergibt sich vor allem aus ihrem gewohnten norddeutschen Sprachgebrauch. Gleichzeitig zeigt sich in Tonys Ausführungen dabei auch, wie der als fremd empfundene Sprachgebrauch nicht bloß mittels einer außersprachlichen Dimension erklärt und charakterisiert wird (nämlich der regionalen Herkunft der Sprecherin), sondern dass das Sprechen der Köchin zudem als derb und unhöflich bewertet wird. So inszeniert Tony die Köchin in ihrer metasprachlichen Erzählung als schreiend und stellt die Formen wahs und wie beliebt einander nicht bloß als regionale, sondern auch als pragmatische Varianten gegenüber (‚unhöflich‘ vs. ‚höflich‘, vor allem aber auch ‚ungebildet‘ vs. ‚gebildet‘). Auf Grundlage ihres Sprachgebrauchs wird die Köchin von Tony regional und auch sozial positioniert.
Wir sehen also: Sprachliche Variation beschränkt sich mitnichten darauf, dass Sprecher:innen mit unterschiedlichen sprachlichen Formen dieselbe Funktion bzw. Bedeutung ausdrücken. Stattdessen können wir nachvollziehen, wie der Gebrauch von Varianten interpretierbar sein kann – zum einen für uns in einer analysierenden, sprachwissenschaftlichen Perspektive von außen, indem wir die Korrespondenzen zwischen sprachlichen Formen und sozialen Kontexten systematisch erklären; zum anderen auch aus Perspektive der Sprecher:innen, die Variation als sozial und kommunikativ funktional verwenden und bei anderen wahrnehmen. Beiden Perspektiven werden wir in diesem Buch nachgehen, wenn wir auf den folgenden Seiten unterschiedliche Gegenstandsbereiche sprachlicher Variabilität sowie soziolinguistische Konzepte und methodische Verfahren kennenlernen, mit denen sich Variation als zentrales Phänomen alltäglicher Kommunikation beschreiben und erklären lassen kann.
Ein besonderer Fokus unserer Darstellungen wird dabei auf der Rolle von Variation in der und für die Schule liegen. Neben der soziolinguistischen Beschäftigung mit Variabilität wird daher stets eine sprachdidaktische Perspektivierung stehen. Diese motiviert sich nicht nur bildungspolitisch aus der curricularen Verankerung des Themas, sondern vor allem aus der zentralen Beobachtung, dass Variationsphänomene, die Schüler:innen aus ihrem kommunikativen Alltag kennen, einen hervorragenden Lebensweltbezug bieten, um im Unterricht Reflexion über Sprache und Kommunikation anzuregen und die Variabilität sprachlicher und kommunikativer Strukturen zu thematisieren. Das eigene Sprechen in Freundeskreis und Familie, das alltägliche Schreiben in informellen Kontexten (vor allem mittels digitaler Medien), aber auch der rezipierte Sprachgebrauch in alltäglichen Unterhaltungsmedien ermöglichen den Schüler:innen einen Vergleich zu den in der Schule geforderten und geförderten Sprachgebräuchen. Auf Grundlage einer solchen Beschäftigung mit dem eigenen sprachlichen Repertoire, also mit der Gesamtheit sprachlicher Mittel, über die ein Individuum produktiv und rezeptiv verfügt, können Schüler:innen sprachliche Heterogenität als systematisch und funktional erkennen. Diese „innere Mehrsprachigkeit" (Wandruszka 1979: 28) eines Individuums kann dann als „situativ funktionale Mehrsprachigkeit" (Bredel & Pieper 2021: 80) gefördert werden, die es Sprecher:innen erlaubt, sich hinsichtlich Kommunikationssituation, Adressat:innen und kommunikativen Handlungszielen angemessen und effektiv auszudrücken – und damit kommunikativ und sozial erfolgreich an unserer Gesellschaft teilzuhaben.
Im Folgenden werden wir als Ausgangspunkt für dieses Vorhaben zunächst in die terminologischen und konzeptuellen Grundlagen einführen. In Abschnitt 1.1 lernen wir zentrale soziolinguistische Begriffe kennen, die wir in den späteren Kapiteln dieses Buches aufgreifen und auf konkrete Variationsphänomene beziehen werden. In Abschnitt 1.2 werfen wir dann einen genaueren Blick auf die Rolle von sprachlicher Variation in der germanistischen Sprachdidaktik, um in Abschnitt 1.3 abschließend über den Aufbau dieses Buches zu informieren.
1.1 Zentrale soziolinguistische Begriffe
Mit sprachlicher Variabilität als Eigenschaft natürlicher Sprachen beschäftigen sich verschiedene sprachwissenschaftliche Disziplinen. So lässt sich einerseits aus einer systemlinguistischen Perspektive nach einer „sprachsystematische[n] Erklärung grammatischer Varianten" (Hennig 2017: 25) fragen. Beispielsweise ließe sich so unter die Lupe nehmen, welchen „Einfluss [die] lautliche[…] und morphologische[…] Struktur von Substantiven auf die Kennzeichnung des Genitivs [nimmt] (die wichtigsten Varianten sind hier -s und -es)" (ebd.: 25). Variation wird dann als ein sprachinternes, systemimmanentes Phänomen analysiert.
Andererseits steht dem eine soziolinguistische Perspektive gegenüber, die Variation in Hinblick auf außersprachliche bzw. kommunikative Faktoren beschreibt und damit kontext-bezogene Erklärungsansätze entwickelt. Beispielsweise würde die morphologische Variation der kurzen und der langen Genitivendung von Substantiven (-s und -es) dann mit Blick auf kommunikative Kontexte untersucht werden, um in Erfahrung zu bringen, ob es eine systematische Verteilung gibt, in welchen Situationen Sprecher:innen die lange und in welchen die kurze Endung verwenden. In Betracht kommt hier etwa die Annahme, dass die (In-)Formalität der Kommunikationssituation oder auch die sprachliche Medialität, nämlich ob gesprochen oder geschrieben wird, mit der Variantenwahl zusammenspielen (vgl. Konopka & Fuß 2016: 254).
Die Theorien und Konzepte, die in der Soziolinguistik seit den 1970er Jahren entwickelt wurden, um die zweitgenannte Perspektive auf sprachliche Variation auszuarbeiten, sind äußerst divers und gehen mit der Ausdifferenzierung des Faches in vielfältige soziolinguistische Traditionen einher (für eine hervorragende fachgeschichtliche Darstellung vgl. Spitzmüller 2022). Um uns einen Überblick über die verschiedenen Ansätze zu verschaffen, die auch in diesem Buch eine Rolle spielen werden, können wir vereinfachend zwischen Forschungstraditionen einer strukturorientierten Soziolinguistik und denen einer handlungsorientierten Soziolinguistik unterscheiden.
Als strukturorientiert bezeichnen wir dabei solche Ansätze, denen es darum geht,
Varietäten als strukturelle Subsysteme einer Sprache zu beschreiben und
Variation anhand der Korrelation mit sozialstrukturellen Faktoren zu erklären.
So wollen strukturorientierte Ansätze primär darstellen, wie sich der Sprachgebrauch zwischen Teilen der Bevölkerung unterscheidet. Durchaus in den Blick gerät aber auch die Frage, wie Individuen einer Gesellschaft systematisch variieren, also zum Beispiel gegenüber verschiedenen Adressat:innen unterschiedliche Formen verwenden. Im anglophonen Raum lassen sich Arbeiten der quantitativen Variationslinguistik diesen Erkenntnisinteressen zuordnen (vgl. Labov 1972; Tagliamonte 2008), in der deutschsprachigen Forschung hat sich in dieser Ausrichtung die Varietätenlinguistik etabliert (vgl. Sinner 2014).
Demgegenüber stehen Ansätze einer handlungsorientierten Soziolinguistik, deren Fokus auf den kommunikativen und sozialen Funktionen von Variation in spezifischen Kommunikationskontexten liegt. Diesen Ansätzen geht es weniger um die ‚großen‘ strukturellen Dimensionen einer Gesellschaft, sondern Variation wird auf der Ebene konkreter kommunikativer Ereignisse als kommunikative Ressource in den Blick genommen, mit deren Hilfe Sprecher:innen soziale Bedeutungen und damit soziale Wirklichkeit konstruieren. Disziplinär ist diese Sichtweise in der Ethnographie des Sprechens (vgl. Hymes 1979), der Sprachanthropologie (vgl. Duranti 2009) und auch der Interaktionalen Soziolinguistik (vgl. Gumperz 1982; Hinnenkamp 2018) zuhause. Im Folgenden werden wir beide Perspektiven anhand ihrer zentralen Konzepte kennenlernen.
1.1.1 Konzepte einer strukturorientierten Soziolinguistik
In der germanistischen Varietätenlinguistik hat sich zur Beschreibung der außersprachlichen Faktoren, mit denen sprachliche Variation korrespondiert, in Anschluss an das diasystematische Modell von Coseriu ([1988] 2007: 24f.) vor allem eine Unterscheidung in drei Variationsdimensionen durchgesetzt: Demnach lässt sich Variation danach klassifizieren, ob sie durch
diatopische (räumliche),
diastratische (sozialstrukturelle) oder
diaphasische (situative)
Faktoren erklärbar ist (vgl. auch Sinner 2014: 66). Eine Sprache wie ‚das Deutsche‘ versteht sich nach dieser Auffassung als eine Gesamtheit aus Varietäten, die jeweils durch eine dieser Dimensionen besonders geprägt sind. Häufig ist hierbei von spezifischen Lekten die Rede: Beispielsweise werden Dialekte und Regiolekte als diatopische Varietäten beschrieben, Soziolekte und Ethnolekte gelten als diastratische Varietäten und Funktiolekte (mit Bezug auf die Kommunikationsfunktion des Sprachgebrauchs) sowie Mediolekte (mit Bezug auf das Medium des Sprachgebrauchs) lassen sich als diaphasische Varietäten klassifizieren.
Diese Konzeptualisierung steht innerhalb der Soziolinguistik durchaus auch in der Kritik, da die genannten außerspachlichen Faktoren oftmals viel zu grob sind, um Sprachgebrauch erklären zu können. Was etwa kann man sich angesichts der enormen Vielfalt unterschiedlicher Lebens- und Kommunikationsstile von Jugendlichen als ‚die Jugendsprache‘ vorstellen (vgl. Spitzmüller 2022: 143)? Zudem gilt es zu bedenken, dass tatsächlicher Sprachgebrauch nie nur hinsichtlich einer außersprachlichen Dimension ausgerichtet ist, sondern sich stets in ein Netz unterschiedlicher Dimensionen einfügt. Diese anderen Aspekte geraten allerdings aus dem Blick, wenn man beispielsweise einen Dialekt wie das Ostmitteldeutsche als diatopische Varietät definiert (Wo spricht man Ostmitteldeutsch?), obwohl die jeweiligen Sprachgebrauchsformen durchaus auch eine diastratische Dimension (Wer spricht Ostmitteldeutsch?) sowie eine diaphasische Dimension (In welchen Situationen wird Ostmitteldeutsch gesprochen?) aufweisen.
In der Gesamtheit der Varietäten des Deutschen (in der Varietätenarchitektur, Flydal 1952) kommt der Standardvarietät eine besondere Bedeutung zu.
Als Standardvarietät oder auch Standardsprache verstehen wir eine überregional gebrauchte, normierte und kodifizierte Varietät. Ihre Formen sind also in Nachschlagewerken festgeschrieben. Standardvarietäten entstehen in historischen Prozessen der Standardisierung.
Für das Deutsche liegt etwa ab dem 17. Jahrhundert eine überregionale deutsche Standardsprache zunächst als Schriftsprache vor. Erst ab dem frühen 19. Jahrhundert betreffen institutionelle Bemühungen um Standardisierung auch die mündliche Aussprache: Zunächst findet sich die Normierung der Bühnenaussprache von Theaterschauspieler:innen (vgl. Siebs 1969), später kommt dann dem Sprechen in Radio und Fernsehen ein Vorbildcharakter für die überregionale und formelle Aussprache des Deutschen zu (vgl. Dürscheid & Schneider 2019: 19–21). Sprachliche Standardisierung bedeutet hierbei stets die Minimierung von Variation (sowohl auf Ebene der Lexik, der Grammatik als auch hinsichtlich der Schreibung und Lautung), indem in der Regel pro Variable eine Variante als Standardvariante lizensiert wird.
Auf Grundlage dieser sprachhistorischen Prozesse kommt der Standardvarietät die kommunikative Funktion einer Verkehrssprache zu, derer sich Sprecher:innen bedienen, wenn sie in überregionalen Kommunikationskontexten unauffällig agieren wollen. Zudem ist die besondere gesellschaftliche Stellung des Standards durch seinen Gebrauch in den öffentlichen Medien sowie in (staatlichen) Institutionen fest verankert. Vor